Ein Leben als Kurdin im Ruhrgebiet

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Kudo21
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Ein Leben als Kurdin im Ruhrgebiet

von Kudo21 am 05.12.2011 13:42

Ich heiße Zehra Dursun. Ich bin eine Kurdin. Meine Eltern kommen aus
Kurdistan. Geographisch gibt es kein Kurdistan, aber in meinen Herzen
gibt es ein Land namens Kurdistan. Es reicht nicht, dass es nur in
meinem Herzen ein Kurdistan gibt: Ich möchte auch einfach sagen
können, dass ich aus Kurdistan komme, ohne dass mir jemand sagt, dass
es so ein Land nicht gibt. Ich will die Menschen nicht anlügen, denn
bisher musste ich immer sagen, dass ich eine Türkin bin, obwohl ich
eine Kurdin bin. Ich bin eine Kurdin und es wird auch für immer und
ewig so bleiben.

Einmal unterhielt ich mich mit einer türkischen Freundin.
Ich habe sie gefragt, aus welcher Stadt der Türkei sie kommt und sie
hat eine Stadt aus dem Westen der Türkei (in der Nähe von Izmir)
genannt. Sie hat mir dieselbe Frage gestellt. Ich habe ihr gesagt,
dass ich aus Agiri am Berg Ararat komme. Diese Stadt liegt in Osten
der Türkei. Man braucht einfach nur zu sagen, dass man aus dem Osten
kommt. Schon hat sich ihr Gesichtsausdruck geändert. Ich weiß nicht,
aber es ist so was wie eine Beleidigung für einige Türken, wenn jemand
aus dem Osten kommt. Sie hat mich gefragt, ob ich eine Kurdin wäre und
ich sagte "ja". Seitdem habe ich keinen Kontakt mehr zu ihr.
Wenn sie mich sieht, grüßt sie mich nicht mehr, weil ich eine Kurdin
bin!

Ein anderes Mal saß ich im Bus neben einem deutschen Mädchen. Sie
hatte einen kurdischen Schal um den Hals gewickelt. Diesen Schal gibt
es in rotweiß und in schwarzweiß. Das ist ein typisches
Bekleidungsstück der Kurden und anderer Völker. Hinten im Bus saßen
türkische Jungs, die das Mädchen beleidigt haben, weil sie diesen
Schal getragen hat. Sie haben ganz laut "Scheiß Kurden" gesagt und das
Mädchen als eine "Terroristin" bezeichnet.
Ab diesen Moment hat das Mädchen geschworen, nie wieder so einen Schal
zu tragen.

Ich finde es unmenschlich, dass es Leute gibt, die Ausländer so
diskriminieren, obwohl sie selbst Ausländer sind. Ich habe dem Mädchen
gesagt, dass sie sich vor solchen Leuten nicht fürchten muss, weil sie
nur große Worte reißen können und nichts dahinter haben.

So was Ähnliches hat mein Bruder auch erlebt. Er hatte auch diesen
Schal um den Hals gewickelt und auf der Straße wurde er von zwei
türkischen Typen sogar geschlagen. Er lag eine Woche im Krankenhaus.
In der Moschee führte die Teilung zwischen den Kurden und Türken auch
zu Streit. Ich kann mich noch genau erinnern, wie meine Brüder nicht
in die Moschee wollten, weil sie dort vom Hoca (Religionslehrer) oder
von türkischen Jugendlichen geschlagen und beschimpft wurden, weil sie
Kurden waren. Obwohl die Religion die Diskriminierung verurteilt! Man
hat das kurdische Volk immer verleugnet sowohl in der Türkei, Irak,
Iran, Syrien als auch in Europa. Das kurdische Volk ist schon seit
mehr als über 100 Jahren ein Spielball wechselnder Mächte im Mittleren
Osten. Das weiß ich jetzt.

Wenn ich die Menschen anlüge und sage, ich sei eine Türkin, dann werde
ich in viele Freundeskreise aufgenommen. Aber wenn ich sage, dass ich
eine Kurdin bin, werde ich sofort als eine Terroristin bezeichnet. Das
Verlangen nach einer eigenen Identität und auf die eigene
Muttersprache und nach der eigenen Kultur ist aber sicher kein
Terrorismus. Darum wünsche ich mir, dass ich nie wieder als
Terroristin bezeichnet werde.

In der Türkei darf man nicht sagen, dass man ein Kurde ist, denn sonst
kommt man ins Gefängnis, aber in Deutschland, also in Europa, kann man
ohne Angst sagen, dass man ein Kurde ist. Das heißt nicht, dass alle
Türken gegen die Kurden sind, sowie alle Deutschen keine Nazis sind.
Ich habe mir einmal einen amerikanischen Film in einer deutschen
Sendung angesehen und da hat ein Junge über seinen Vater erzählt. Er
hätte eine Weltreise gemacht und er sei sogar bei den Kurden gewesen.
Und ein paar Monate später kam derselbe Film in einer türkischen
Sendung. Das Wort Kurden kam in der türkischen Sendung überhaupt nicht
vor. Ich frage mich immer noch, wieso das Wort Kurde für die so
schlimm ist. Ich selber habe gar nichts gegen die Türken, denn ich
habe sehr viele türkische Freunde, die nichts gegen die Kurden haben.

Ich frage mich manchmal wer ich bin.
Ich bin in Deutschland geboren. Bin ich eine Deutsche? Ich habe einen
türkischen Pass. Bin ich eine Türkin? Meine Muttersprache ist kurdisch
und ich stamme aus Kurdistan, aber ich kann anderen nicht klar machen,
dass Kurdistan existiert. Bin ich die Einzige, die so denkt oder gibt
es auch andere, denen es auch so geht?

Als ich ein kleines Kind war, hatte ich auch diese Fragen im Kopf und
ich wusste nie die Antworten darauf. Niemand konnte mir diese Fragen
bisher beantworten. Etwas, was mich am meistens stört, ist, wenn
einige immer sagen, Kurden sind doch dasselbe wie Türken! Das stimmt
nicht, denn Kurden haben eine andere Sprache und sie haben eine andere
Kultur, eine andere Geschichte als die Türken. Als wäre ein Franzose
dasselbe wie ein Engländer. Die Kurden gehören zu einem der ältesten
Völker der Welt und haben immer noch kein eigenes Land.

40. Millionen sind auch keine Minderheit. Ich hoffe, dass in der
Zukunft niemand solche schlimmen Sachen erlebt. Aber eins noch nicht
vergessen, bitte !!! Es gibt sehr viele Kurden, die Schrecklicheres
erlebt haben. Wie z. B. Kurden, deren Dörfer verbrannt wurden; Kurden,
die mit Saddams Gas vergiftet wurden; Kurdische Frauen, die all die
Dramen mitgemacht haben; Kurdische Kinder, die nicht in die Zukunft
planen können.

Meine Hoffnung für die Zukunft ist, dass in der Türkei die kurdischen
Schüler in der Schule ihre eigene Sprache lernen können. Dass sie ihre
eigene Musik hören dürfen. Und dass sie ihr eigenes Leben leben
können, egal wo sie sich befinden, ob nun im Irak oder in Deutschland.

Ich bin froh, dass ich in Deutschland lebe, weil ich hier frei seien
kann.

Ich will, dass alle Menschen gleich behandelt werden. Und dass die
Demokratie sich gegenüber der Monarchie durchsetzt, damit so etwas wie
ein machtbesessener Saddam Hussein nicht entstehen kann.

Von Zehra Dursun

Quelle

Antworten Zuletzt bearbeitet am 05.12.2011 14:37.

firat47
Gelöschter Benutzer

Re: Ein Leben als Kurdin im Ruhrgebiet

von firat47 am 06.12.2011 10:52

Ich bin froh, dass ich in Deutschland lebe, weil ich hier frei seien kann.

hmmm...naja geht so. Lass mich mal überlegen, was war letzte Woche in Berlin???

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