Frauenrechte im Gepäck

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Frauenrechte im Gepäck

von Azadiyakurdistan am 23.01.2011 03:06

Deutsche Organisation unterstützt Kurden in Süd-Kurdistan




Ein kleiner deutscher Verein leistet Großes im Irak: Wadi e.V. arbeitet mit 50 Einheimischen im Nordirak und bringt freiheitliche Prinzipien mit.

Er war ein Islamist, ein überzeugter Dschihadist sogar. Doch dann wurde aus dem jungen Mann ein Anderer, sogar ein Unterstützer des Frauenzentrums in Halabscha im Nord-Irak. Erstaunliche Geschichten wie die von Kosralan Abu Bakir kennen die Mitarbeiter der deutschen Organisation Wadi e.V. zuhauf. Seit zwei Jahrzehnten arbeitet der „Verband für Krisenhilfe und Entwicklungszusammenarbeit“ für ein besseres, freieres, demokratisches Leben im Irak. Während Saddam Hussein, nach Saddam Hussein, ohne Pause.

Thomas von der Osten-Sacken, Mitbegründer von Wadi, erinnert sich gut an damals, als der arbeitslose Kosralan Abu Bakir bei ihnen in Halabscha vor der Tür stand.

Sieben Jahre ist das her. Eben war der kurdische Al-Qaida-Ableger militärisch besiegt worden, mit Jobs im Dschihad war es vorbei. So fing Kosralan Abu Bakir mit Anfang zwanzig bei den Leuten von Wadi an, als Fahrer für eines der drei Frauenhäuser, die Wadi unterhält. „Zuerst verhielt sich Kosralan ziemlich befangen“, erzählt Osten-Sacken. „Nie ist er ins Haus reingegangen, Frauen hat er nicht die Hand gegeben, keinem in die Augen geschaut.“ Aber bald begriff Abu Bakir, dass hier bei Wadi etwas Befreiendes passiert. Auch für ihn. Heute fährt er begeistert einen der Spielbusse der Organisation, mit denen Kindern in entlegenen Dörfern Irakisch-Kurdistans, einer Landschaft aus Bergen und Schluchten, Wäldern und Weiden und Armut, Spielsachen gebracht werden.

Abu Bakir hat Bälle im Gepäck, Brettspiele, Schaukeln, Puppen, Teddybären. All das kauft Wadi, wie alle Materialien, im Land selber ein, um die lokale Wirtschaft zu stützen. Der ehemals radikale Iraker baut jetzt auf die säkularen Strömungen im Land, heilfroh, dass er die Vergangenheit hinter sich gelassen hat. „Er wäscht sogar im Frauenzentrum Geschirr ab“, freut sich Osten-Sacken: „Abwasch ist für Männer im Nahen Osten wirklich ungewöhnlich.“

Stolz ist man bei Wadi auch auf Frauen wie Hero Shaker, Leiterin des Wadi-Frauenzentrums in Halabscha. Das helle, geräumige Frauencafé des Zentrums besuchen oft mehr als 120 Frauen an einem einzigen Tag. Cafés, Orte, an denen man außerhalb der Familie zusammen kommt, gab es zuvor allein für Männer. In den drei Frauenzentren von Wadi lernen Mädchen und Frauen auch Lesen und Schreiben, währen ihre Kinder betreut werden.

Hero Shaker also tauchte vor ein paar Jahren bei Wadi auf. 19 Jahre war sie alt, schüchtern, scheu, mit Kopftuch. Inzwischen, mit 24, ist ihre Stimme selbstbewusst, ihr Haar trägt sie offen. Im Freien Radio, das Wadi ins Leben rief, macht Hero Shaker eine Sendung über Frauenrechte. Im Fernsehen hat sie davon erzählt, dass sie als Mädchen genitalverstümmelt wurde – wie nahezu hundert Prozent aller Bewohnerinnen in der Region Nordirak. Bekannt wurde das erst durch Erhebungen von Wadi, nicht einmal bei der Uno hatte man davon Kenntnis. Wadis Kampagne gegen diese barbarische Praxis, die mit dem Islam, dem Koran nichts zu tun hat, und dennoch als „religiös begründet“ galt, nimmt Jahr für Jahr an Fahrt auf. Imame sind mit an Bord, das Parlament von Irakisch-Kurdistan verhandelt Gesetzesvorlagen für ein Verbot der Verstümmelung. Zum ersten Mal in der Geschichte sprechen seit ein paar Jahren überall in der Region Frauen darüber, was der sinnlos verstümmelnde Eingriff für ihr Leben bedeutet, für Sexualität, Partnerschaft, Ehe, Kinderkriegen, den Alltag mit Schmerzen. „Hero Shaker“, beobachtet Osten-Sacken, „ist ein großes Vorbild für andere junge Leute. Sie zeigt den anderen, die auch aus der Armut kommen, dass man seine Stimme finden kann.“

Da leistet ein kleiner Verein Großes. Im Irak arbeiten gut fünfzig Einheimische mit Wadi, in Deutschland hat man zwei halbe Stellen und fünf Ehrenamtliche, das Jahresbudget beträgt knapp eine halbe Million Dollar. Damit unterhält Wadi drei Frauenzentren, fünf mobile Hilfsteams, Spielbusse, eine Radiostation in Halabscha, ein Frauencafé. Finanziert wird so auch die Kooperation mit Initiativen in einigen Dörfern.

Schon 1991, als eine Handvoll Frankfurter Studenten der Germanistik, Kunstgeschichte, Soziologie nach dem zweiten Golfkrieg zusammenfand, um zur Transformation des Irak beizutragen, war Thomas von der Osten-Sacken dabei. Mit einer christlichen, deutschen Initiative hatte er sich ehrenamtlich für die Nothilfe im Südirak engagiert, dort Wasser und Milchpulver verteilt und Schulen repariert. So fing das Lernen an – und das Bleiben.

Bei Wadi e.V. machen sie vieles anders, als andere Organisationen. Wo es um die Rechte von Frauen und Jugendlichen geht, wo man gegen Unterdrückung arbeitet, so Osten-Sacken, „da muss man Stellung beziehen“. Tradition, Ideologie oder Religion rechtfertigen niemals Gewalt und Unrecht. „Wir sind nicht neutral“, erklärt Osten-Sacken entschlossen, „und die Sprache der Freiheit ist universal“. Glasklar ist die Überzeugung der Helfer von Wadi, dass Neutralität fatal ist. Osten-Sacken schüttelt nur den Kopf: „Uns ist auch klar, dass in Syrien die Diktatur weg muss, dass im Iran das Regime der Ayatollahs enden muss, ehe dort etwas Gutes passieren kann.“

Mit überwiegend privaten Spenden betreibt Wadi seine Projekte. Bewusst wird das Budget niedrig gehalten, mit Bedacht fahren die Mitarbeiter alte Autos statt glänzender Landrover, ihre Büros in Souleymania und Frankfurt am Main sind bescheiden, der Aufwand für Verwaltung so gering wie möglich. Riesige Organisationen, sagen sie bei Wadi, wachsen sich zu Bürokratien aus, die mehr und mehr um sich selber kreisen. Bei Wadi glaubt man auch daran, dass Leute in Projekten durch ihre eigene Aktivität, ihre eigenen Freiräume und Fehler lernen, weniger durch sozialpädagogisch geleitete Workshops, Seminare oder Schulungen. Sie sehen die anderen Helfer kommen und gehen, aber sie bleiben. Zeitweise war Wadi e.V. die einzige deutsche Hilfsorganisation im Irak. Die Menschen hier vertrauen ihnen, sagen sie, weil sie über Jahre mit den Leuten zusammen arbeiten. „Vertrauen“, sagt Osten-Sacken, „kann man nicht kaufen.“

Quelle...

Silav û Rêz
Azad

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