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Geste der Entspannung: Kurdische Rebellen lassen Türken frei

von Azadiyakurdistan am 14.03.2013 22:37

Die Gespräche zwischen dem inhaftierten Chef der Arbeiterpartei Kurdistans, Öcalan, und der türkischen Regierung tragen erste Früchte. Das zeigt die Freilassung von acht Gefangenen.



Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat am Mittwoch im Nordirak acht Türken freigelassen. Die Soldaten und Beamten waren in den letzten zwei Jahren in der Südosttürkei verschleppt worden. Die Führung der kurdischen Rebellen in den nordirakischen Kandil-Bergen folgte damit einem Aufruf ihres seit vierzehn Jahren inhaftierten Chefs Abdullah Öcalan. Die Freilassung fand nach einer genau geplanten Choreografie statt. Kurdische Abgeordnete und Menschenrechtler reisten in den Nordirak, um die Geiseln in Empfang zu nehmen. Am Grenzübergang Habur bei Silopi warteten Angehörige. Begleitet wurde die Übergabe von zwei hochrangigen Beamten des türkischen Innenministeriums. Regierungsvertreter begrüssten die Freilassung als positives Zeichen, kurdische Abgeordnete sprachen von einer Geste auf dem Weg zu einem dauerhaften Frieden. Seit etwa drei Monaten führt der türkische Geheimdienst Gespräche mit Öcalan.

Aufstand und Repression

Frieden wünscht sich ganz sicher der Kurde Ihsan Ertas. «Ich hoffe, sie finden schnell eine Lösung», sagt er. Der Krieg habe genug Opfer gefordert. Ertas war zwölf Jahre alt, als die Armee in seinem Dorf nahe der südosttürkischen Provinzhauptstadt Adiyaman einmarschierte. Es war das Jahr 1984, die PKK hatte gerade den bewaffneten Kampf aufgenommen, und das Militär machte in den kurdischen Dörfern Jagd auf die Rebellen. «Bei uns ging es noch, aber weiter im Osten haben sie Menschen auf freiem Feld erschossen», sagt Mehmet Kaplan, der aus der Nähe von Malatya stammt. «Wenn wir kurdisch sprachen, wurden wir beschimpft. Unsere Kindheit war eine einzige Demütigung.» Als die zerstörten Felder nicht mehr genug abwarfen, gingen Kaplan und Ertas in das ferne Istanbul, um dort ein Auskommen zu finden. Hunderttausende von Kurden flohen vor der bitteren Armut und dem Krieg im Südosten Ende der achtziger und in den neunziger Jahren in den Westen der Türkei.

Viele haben wie Ertas und Kaplan in Esenler, einem Stadtteil im Nordwesten Istanbuls, Zuflucht gefunden. Die Armut ist hier trotz dem Wirtschaftsboom der letzten Jahre relativ gross. Auf den öffentlichen Plätzen vertreiben sich arbeitslose Männer die Zeit. Im Teehaus, in dem wir Ertas und Kaplan treffen, stehen einfache Tische mit blauen Tischdecken, die Wand ziert ein Bild einer Alpenlandschaft. Männer spielen Karten und das beliebte Brettspiel «Okey». Sie alle sind Kurden, und fast jeder hat ähnliche Erfahrungen wie Kaplan und Ertas gemacht.

Viele der Geschichten, die Kurden hier erzählen, handeln von Dorfzerstörungen, extralegalen Hinrichtungen, willkürlichen Festnahmen, Folter, Erniedrigung und Prügel auf Polizeiposten und vom Gefühl der Ausgrenzung, weil selbst die Sprache verboten war. Es sind die Geschichten von einem Staat, der im Namen der nationalen Einheit und der Terrorbekämpfung etwa einen Fünftel seiner Bürger zu Kriminellen und Staatsfeinden stempelte.

Zaghafte Öffnung

Vieles davon ist heute Vergangenheit. Die Regierung hat das Verbot der kurdischen Sprache gelockert. Inzwischen ist Kurdisch auch vor Gericht erlaubt, und der Polizeichef der kurdischen Metropole Diyarbakir schickt seine Angestellten neuerdings in einen Kurdischkurs. Unter Ministerpräsident Erdogan habe sich vieles gebessert, sagt Kaplan. «Aber dafür haben wir dreissig Jahre lang gekämpft. Alles, was wir erreicht haben, verdanken wir Öcalan.» Für ihn wie auch für Ertas ist klar, dass Öcalan freikommen muss. Auch sonst haben sie klare Vorstellungen vom Frieden: Freilassung von kurdischen Aktivisten, die in den letzten Jahren wegen angeblicher Unterstützung des Terrorismus festgenommen wurden, eine Amnestie und die Reintegration der PKK-Kämpfer, Entschädigungen für die Opfer, vollständige Anerkennung des Kurdischen, Presse- und Organisationsfreiheit sowie eine Stärkung der Lokalverwaltungen.

Keine hundert Meter entfernt, in einem anderen Teehaus, haben die Männer wenig Verständnis für diese Forderungen. Die meisten, die sich hier treffen, stammen von der Schwarzmeerküste. Auch sie spielen Karten und «Okey», das Mobiliar ist aus dem gleichen billigen Material. Statt blau sind die Tischdecken rot, und statt der Berglandschaft hängt an der Wand ein Bild einer herbstlichen Parkidylle.

«Ich weiss nicht, was die Kurden wollen», sagt Sidki Özdemir. «Kurden können Minister und Parteichefs werden. Was wollen sie mehr?» Wie Kaplan stammt Özdemir aus Malatya, und wie dieser kam er als Jugendlicher auf der Suche nach Arbeit nach Istanbul. Auch er will ein Ende des Krieges, der mindestens 40 000 Tote gefordert hat. Verhandlungen mit Öcalan lehnt er jedoch ab. «Öcalan ist ein Kindsmörder», sagt Özdemir. Gespräche mit ihm seien ein Hohn für die Märtyrer. Erdogan hätte sich darauf nie einlassen dürfen, so mischt sich ein älterer Herr aus Rize ein, dessen Neffe als Soldat getötet wurde. So sieht es eigentlich auch Mustafa Kiraz, der vor 35 Jahren aus Samsun nach Istanbul kam. «Aber wenn durch die Gespräche das Blutvergiessen beendet wird, ist das in Ordnung», sagt Kiraz. «Hauptsache, es gibt Frieden.»

Weitverbreitete Skepsis

Jahrelang waren türkische Zeitungen voll von Berichten über Verbrechen des «Kindsmörders». Heute stehen die wichtigsten Medien hinter Erdogans Kurs. Er sei bereit, notfalls den Giftbecher zu trinken, sagte Erdogan kürzlich. Worin das Gift besteht, erklärte er nicht. Er äusserst sich überhaupt wenig über die Details einer möglichen Lösung. Zweimal konnten kurdische Abgeordnete den PKK-Chef im Gefängnis besuchen. Laut Auszügen aus dem teilweise durchgesickerten Protokoll vom letzten Treffen kündigt Öcalan einen Waffenstillstand an, der am kurdischen Neujahrsfest Newroz am 21. März beginnen soll, sowie – im August – den Rückzug der PKK-Kämpfer aus der Türkei. Nicht nur die Türken, auch die Kurden sind skeptisch. «Zu oft hat man uns Kurden betrogen», sagt Ertas.

nzz.ch 

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