In der Kluft zwischen arrangierten Ehen und Facebook-Flirts

[ Nach unten  |  Zum letzten Beitrag  |  Thema abonnieren  |  Neueste Beiträge zuerst ]


Azadiyakurd...
Administrator

-, Männlich

  Aktive/r User/in

Administrator/in

Beiträge: 4656

In der Kluft zwischen arrangierten Ehen und Facebook-Flirts

von Azadiyakurdistan am 28.12.2013 15:30

Junge Kurden im Nordirak rütteln an den alten Traditionen.



Erbil. "Noch vor einem Jahrzehnt hatten die Menschen hier nicht einmal ein Festnetztelefon, und heute laufen alle mit iPhones herum", erzählt der stets aufrecht sitzende Minister und streicht mit der Hand an seiner orangen Krawatte entlang, bis sie eben auf der Brust liegt und sich nahtlos in die stringente Ordnung seines funkelnagelneuen Büros einfügt. Nicht einmal noch die Hälfte der Regale sind mit Büchern oder Akten befüllt. "Unser Präsident, er begann seine Tätigkeit in einem Zelt, und das war nicht viel früher."

Der Minister, der namentlich nicht genannt werden will für Kommentare nach Ende des offiziellen Interviews, hat erst vor kurzer Zeit sein Büro im Herzen von Erbil, der Hauptstadt der nordirakischen autonomen Region Irakisch-Kurdistan, bezogen. Sein Gebäude ist aber nicht das einzige, das mit gerade erst gestrichenen Fassaden und frisch verlegten Böden auf seine Erstbezieher wartet: Hunderte Bürohäuser schossen über die letzten Jahre wie Pilze aus dem Boden, genauso wie nagelneue Wohnkomplexe, Spitäler, Hotels und Shopping Malls. Es ist unmöglich, einen Stadtplan von Erbil zu finden, der auch nur annähernd die Realität abbildet.

Und die Realität, sie ändert sich in Kurdistan täglich. Aber nicht nur die äußere. Der rasende Fortschritt, der die Region erfasst hat, fordert gleichzeitig massiv seine Bewohner. Vor allem in einem Lebensbereich zeichnet sich eine Revolution ab: bei Partnerschaft und Liebe. Junge Kurden befinden sich auf einer Gratwanderung zwischen alten Werten wie Ehre - und neuen wie Freiheit und Selbstbestimmung.

Nicht nur der Minister streicht gerne hervor, wie viel sich verändert hat. "Die Menschen hier haben Häuser und Autos, die sich die Bewohner Londons nicht leisten könnten", sagte Kawa, ein junger Kurde mit braunen Locken, die ihm tief in die Stirn hängen, und zeigt von seiner Küche aus durch das Fenster auf eines der neuesten Nobel-Hochhäuser der Stadt. Er gesteht allerdings ein, dass die vielen Änderungen außen und in den Geldbörsen der Kurden nur die Hälfte der Geschichte ist. "Die Menschen sind nach wie vor sehr konservativ", sagt er.

Risse zwischen den Generationen

 Der 36-Jährige schnappt schnell ein Stück Brot, küsst seine Mutter auf die Stirn und eilt aus dem einfachen Haus. "Meine Mutter, zum Beispiel, hat im Alter von zwölf Jahren geheiratet", sagt er, als er in seinen silbernen Mitsubishi steigt. Seit 2003, als der irakische Diktator Saddam Hussein von den Amerikanern von der Macht vertrieben wurde, strömte Geld in den lange unterdrückten Norden des Landes, der hauptsächlich von ethnischen Kurden besiedelt ist. "Wir haben jetzt Geld. Aber es dauert seine Zeit, mondän zu werden, bis sich die Menschen hier ändern."

Der Ruf, konservativ zu sein, eilt den Kurden voraus. Das hat weniger mit der Religion als mehr mit ihrer traditionellen Lebensweise zu tun und dem Faktum, dass sie durch die Unterdrückung lange Zeit vom Rest der Welt isoliert waren. Allerdings - die starren Mauern der alten Gewohnheiten haben begonnen, zu bröckeln. Zur gleichen Zeit, als man begann, Straßen akkurat zu bauen und entlang davon hübsche Zierbäume zu pflanzen, wehte der Keim einer neuen Lebensart über die Region. "Wir hatten noch nie so eine riesige Kluft zwischen den Generationen wie jetzt", sagt Kawa, als er sein Auto vorsichtig durch die erwachende Hauptstadt steuert.


Diese Kluft ist für die Kurden eine große Herausforderung. Kawas Mutter, geboren 1956, hatte nach ihrer frühen Heirat mit 25 Jahren bereits fünf Kinder und trug das sechste unter ihrem Herzen. Doch dann traf eine Tragödie die Familie: Kawas Vater wurde von seinem Onkel ermordet, dem Bruder seiner Mutter, der darauf bestanden hatte, dass sich Kawas Eltern scheiden lassen, da er vor der Eheschließung nicht um sein Einverständnis gefragt worden war. Und in einem Racheakt tötete der Bruder seines Vaters den Bruder seiner Mutter. Kawa verzieht sein Gesicht, er will über die Details nicht sprechen.

Die Menschen hier würden sich "immer und ständig in dein Leben einmischen", beklagt Kawa, als er sein Auto vor der Universität parkt, in der er unterrichtet. Beide Hände lässt er auf dem grauen Lenkrad ruhen. "Dein Onkel, deine Eltern, in Wirklichkeit: die ganze Gesellschaft." Er zieht die Schultern hoch und seine Gesichtszüge beginnen sich wieder zu lockern. "Man soll aber bloß nicht glauben, dass sich mit der Hochzeit - dem allerwichtigsten Ereignis in einem kurdischen Leben - alles erledigt hat. Oh nein", sagt er. Gleich nach einer Heirat würden sich alle Sorgen darüber machen, wann das erste Kind zu erwarten sei, dann werde man unter Druck gesetzt, wann man ein eigenes Heim habe und wenn das erledigt ist, "wird man Löcher in den Bauch gefragt, ob denn das zweite endlich unterwegs ist", sagt Kawa, verdreht die Augen, schüttelt den Kopf und lässt seine Stirn zwischen die Hände auf das Lenkrad fallen.

Kawa ist es nicht gewohnt, Löcher in den Bauch gefragt zu werden. Er mag nicht mehr allen Normen einer Gesellschaft entsprechen, die solch ein Unglück über seine Familie brachten. Und er hat bereits gesehen, dass es auch anders geht. Der jetzige Uni-Lektor war in dem kleinen Ort Bashtapa in der Nähe von Erbil geboren worden und ihm der Name Saddam gegeben worden. Gemeinsam mit den anderen Kurden litt er unter den Grausamkeiten Saddam Husseins, änderte nach dem Aufstand der Kurden gegen den Diktator 1991 seinen Namen. Und als Kawa floh er dann ins Ausland, wie so viele seiner Landsmänner. Nach einer sechsmonatigen Odyssee gelangte er schließlich nach Großbritannien, als er 22 Jahre alt war. Dort, fern von der Heimat und sozialer Kontrolle, kam er in den Genuss eines europäischen Lebensstils. "Wir haben getan, was wir wollten", erinnert sich Kawa.

Weiter lesen...

Silav û Rêz
Azad

Antworten

latifa
Gelöschter Benutzer

Re: In der Kluft zwischen arrangierten Ehen und Facebook-Flirts

von latifa am 02.01.2014 11:01

Ein gutes Beispiel dafür, dass sich vieles geändert hat. 
Einiges zum positiven, aber auch zum negativen ...

Schade.... sehr schade 

Antworten

Azadiyakurd...
Administrator

-, Männlich

  Aktive/r User/in

Administrator/in

Beiträge: 4656

Re: In der Kluft zwischen arrangierten Ehen und Facebook-Flirts

von Azadiyakurdistan am 04.01.2014 03:27

@latifa

Was hat sich deiner Meinung nach zum positiven und was zum negativen geändert? Kannst du paar Beispiele nennen.

Silav û Rêz
Azad

Antworten

latifa
Gelöschter Benutzer

Re: In der Kluft zwischen arrangierten Ehen und Facebook-Flirts

von latifa am 06.01.2014 01:36

Ich finde es positiv zu sehen, dass Frauen und Männer gleichermaßen studieren und sich weiterbilden können gut. Früher war es nicht so, denn die Frauen mussten die Schule abbrechen, um eine gute Ehefrau zu werden, während den Männern die Chance gegeben wurden etwas aus sich zu machen.

Zum negativen hat sich meiner Meinung das Verhalten der Jugendlichen verändert.  Man kann es positiv betrachten, wie sie sich verhalten,  aber viele die in den Heimatländer leben und aufgewachsen sind, sind vom ihren Eltern abhängig und können nicht selbstständig ein leben für sich aufbauen.  Auch was ich nicht toll finde ist, dass eine Kluft zwischen Eltern und Kindern vorhanden ist. Es wird gelogen, famit die Familie und die Gesellschaft nicht schlecht von einem denkt und spricht.


Etwas kurzes ...
Könnte auch länger sein, aber ich möchte nicht das die Leser einschlafen  

Antworten

Azadiyakurd...
Administrator

-, Männlich

  Aktive/r User/in

Administrator/in

Beiträge: 4656

Re: In der Kluft zwischen arrangierten Ehen und Facebook-Flirts

von Azadiyakurdistan am 07.01.2014 00:31

Du könntest ruhig noch länger schreiben, bin noch nicht eingeschlafen beim Lesen.

Du hast schon Recht, aber allgemein gesehen finde ich, dass die Jugendlichen heute eher unabhängiger werden von ihren Eltern vor allem wenn es um Lebensweise und Sitten geht. Durch das Internet und Serien aus fremden oder anderen Kulturen werden die Jugendlichen beeinflusst. Aus finanzieller Sicht aber kann es sein, dass die Jugendlichen abhängiger geworden sind von ihren Eltern als früher. Aber ich könnte auch falsch liegen.

Silav û Rêz
Azad

Antworten

« zurück zum Forum