Tabuthema Kurdenfrage: ROG kritisiert systematische Verfolgung kritischer Journalisten in der Türkei

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Azadi

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Tabuthema Kurdenfrage: ROG kritisiert systematische Verfolgung kritischer Journalisten in der Türkei

von Azadi am 02.04.2011 23:14

Tabuthema Kurdenfrage: ROG kritisiert systematische Verfolgung kritischer Journalisten in der Türkei

Berlin (ROG) 31.3.2011 - Mit großer Sorge beobachtet Reporter ohne Grenzen (ROG) die drastische Verschlechterung der Situation der Medienfreiheit in der Türkei. Im Visier der Behörden stehen unter anderem Journalisten, die sich intensiver mit der Lage der kurdischen Minderheit in dem südosteuropäischen Land beschäftigen. Allein in den vergangenen vier Wochen wurden mindestens sechs Journalisten und Autoren, die das Thema aufgegriffen haben, verurteilt oder strafverfolgt. In fast allen Fällen berufen sich die Justizbehörden auf das "Anti-Terror-Gesetz".

ROG kritisiert die missbräuchliche Anwendung des bald 20 Jahre alten Gesetzes. Die Regelungen seien eine "schonungslose Waffe gegen Journalisten, die das Problem der nationalen Minderheiten aufgreifen", so ROG. Die Organisation zum Schutz der Pressefreiheit fordert die türkische Regierung zu einer Reform des Strafgesetzbuches auf, um eine missbräuchliche Auslegung von Gesetzen zur Verfolgung unabhängiger oder regierungskritischer Medienschaffender zu verhindern. Zudem kritisiert ROG die Festnahme von mindestens zwei Journalisten im Kurdengebiet im Osten des Landes in diesem Monat, darunter auch ein deutscher Fotograf.

Seit einigen Monaten hat die Verfolgung von Journalisten unter Anwendung repressiver Mediengesetze in der Türkei stark zugenommen: Jeder Journalist, Autor oder Publizist, der sich kritisch mit sensiblen Themen wie die Lage der kurdischen und armenischen Minderheiten, der Armee, dem Sicherheitsapparat oder dem Gründer der türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, auseinandersetzt, riskiert, juristisch verfolgt zu werden. ROG hat mehr als 25 Artikel in dem türkischen Strafgesetzbuch identifiziert, die direkt die Presse- und Meinungsfreiheit beschneiden. Das 1991 in Kraft getretene Anti-Terror-Gesetzes Nummer 3713 gehört zu den problematischsten rechtlichen Regelungen in der Türkei.

Diverse Journalisten, Autoren wie auch Herausgeber wurden auf Grundlage dieser rechtlichen Regelung zu Gefängnisstrafen und Geldstrafen verurteilt. Zuletzt wurden am 24. März der Redakteur und der Redaktionsleiter der Zeitung "Birgün" nach Artikel 6 des Gesetzes für schuldig befunden, "eine Erklärung oder eine Mitteilung einer terroristischen Organisation übernommen zu haben". Das Istanbuler Gericht bezog sich dabei auf ein im August 2008 in der Tageszeitung veröffentlichtes Interview mit PKK-Chef Murat Karayilan. Der Autor des Artikels, Hakan Tahmaz, wurde zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Der Redaktionschef Ibrahim Cesmecioglu muss für die Veröffentlichung des Interviews umgerechnet rund 1.600 Euro Strafgeld zahlen.

Dasselbe Gericht hatte am 10. März den Autor Mehmet Güler sowie den Herausgeber Ragip Zarakolu eines im Mai 2010 veröffentlichten Buches über Kurden und die PKK verurteilt. Wegen "Propaganda für die PKK" soll Güler für ein Jahr und sechs Monaten ins Gefängnis. Zarakolu wurde eine Geldstrafe von umgerechnet rund 1600 Euro auferlegt.

Demselben Schuldvorwurf sieht sich der Journalist Ertugrul Mavioglu ausgesetzt, seitdem er im Oktober 2010 in der Zeitung "Radikal" ein Interview mit Karayilan veröffentlichte. Der Prozess gegen ihn soll in Kürze eröffnet werden. Mavioglu drohen bis zu sieben Jahre Gefängnis.

ROG hat darüber hinaus von zwei Festnahmen von Journalisten im Kurdengebiet am 21. März, dem Tag des kurdischen Neujahrsfestes Newroz, erfahren. An diesem Tag finden in der Region traditionell Demonstrationen und Kundgebungen statt.

In der Nacht des 21. März wurde der Mitarbeiter der Lokalzeitung "Yüksekova Haber", Necip Capraz, zusammen mit zehn weiteren Personen in Hakkâri im Südosten Anatoliens festgenommen. Der in der Region bekannte und preisgekrönte Journalist wird verdächtigt, einer angeblich der PKK nahestehenden Gruppierung anzugehören. Capraz war schon einmal für mehrere Jahre inhaftiert, nachdem er über die Gewalt von Polizisten am Rande pro-kurdischer Demonstrationen berichtet hatte.

Am 21. März wurde ebenfalls der deutsche Fotojournalist Benjamin Hiller zusammen mit seinem Dolmetscher festgenommen und auf eine Polizeiwache gebracht. Beide Männer hatten an einer von der kurdischen "Partei des Friedens und der Demokratie" (BDP) organisierten Presseveranstaltung in der Stadt Diyarbakir teilgenommen und dort am Rande eine Auseinandersetzung mit der Polizei fotografiert. Sie wurden nach etwa anderthalb Stunden wieder freigelassen, standen in den kommenden zwei Tagen aber nach eigenen Aussagen weiter unter Beobachtung von Zivilpolizisten.

Vor dem Hintergrund der aktuell schwierigen Lage von Medienvertretern in der Türkei und des 20. Jahrestags der Einführung des Anti-Terror-Gesetz in dem südosteuropäischen Land am 12. April plant ROG, im kommenden Monat eine Untersuchungsmission in der Türkei durchzuführen. Auf der ROG-Rangliste zur weltweiten Lage der Pressefreiheit steht die Republik derzeit auf Platz 138 von insgesamt 178 Staaten und Regionen.
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