Kurdenpolitikerin Zana kandidiert für Parlamentssitz
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Kurdenpolitikerin Zana kandidiert für Parlamentssitz
von Azadiyakurdistan am 11.04.2011 18:09Als Leyla Zana als frisch gewählte Abgeordnete im Jahr 1991 ihre Vereidigungsformel im Parlament von Ankara sprach, leitete schon dieser erste Aufritt im Plenum das vorläufige Ende ihrer Karriere ein.
Denn Zana, die erste Kurdin im türkischen Parlament, fügte ihrem türkischen Eid einen Satz auf Kurdisch hinzu: Für die Verbrüderung des türkischen und des kurdischen Volkes wolle sie sich einsetzen, sagte sie. Zana und andere Kurdenpolitiker wurden aus dem Parlament geworfen und 1994 wegen Unterstützung der kurdischen PKK-Rebellen zu langen Haftstrafen verurteilt. Jetzt kehrt Zana auf die politische Bühne zurück: Die 49-jährige strebt bei der Parlamentswahl am 12. Juni ein Direktmandat an.
Bei ihrer Haftentlassung im Jahr 2004 war Zana längst zur Heldin der Kurden geworden und weit über die türkischen Grenzen hinaus bekannt. Dennoch zog sie sich zunächst aus der Öffentlichkeit zurück. Erst seit einiger Zeit wird sie wieder öffentlich aktiv - was auch die misstrauische türkische Justiz bemerkt hat: Das Verfassungsgericht erteilte ihr im Zusammenhang mit der Auflösung der Kurdenpartei DTP Im Jahr 2009 ein parteipolitisches Betätigungsverbot.
Dennoch darf Zana als unabhängige Politikerin sehr wohl für das Parlament kandidieren. Für ein kurdisches Wahlbündnis bewirbt sie sich um ein Direktmandat in der südostanatolischen Großstadt Diyarbakir, der inoffiziellen Hauptstadt des türkischen Kurdengebietes. Als parteilose Kandidatin unterliegt sie nicht der für Parteien landesweit geltenden Zehnprozent-Hürde.
Mit den Kandidaturen nominell unabhängiger Politiker will die neue Kurdenpartei BDP die hohe Hürde umgehen; auch BDP-Chef Selahattin Demirtas ist einer der insgesamt 64 ,unabhängigen' kurdischen Parlamentskandidaten. Ziel ist die Bildung einer neuen kurdischen Parlamentsfraktion nach dem 12. Juni.
Wenn Zana bei einem Wahlerfolg in Ankara wieder Kurdisch sprechen will, dürfte sie diesmal weit weniger Probleme haben als 1991. Viele Sprachverbote der 1990er Jahre wurden im Zuge der Reformen der vergangenen Jahre abgeschafft. So ist Wahlkampf auf Kurdisch inzwischen erlaubt, ein staatlicher Fernsehsender strahlt ein kurdisches Vollprogramm aus. Auch haben mehrere Kurdenpolitiker sowohl im Fraktionssaal als auch im Plenum ihre Muttersprache benutzt, ohne dass sie ins Gefängnis kamen.
So ganz kann sich der türkische Staat aber immer noch nicht mit dem Kurdischen anfreunden. Als sich der BDP-Abgeordnete Hasip Kaplan vor einigen Monaten bei einer Rede im Parlament auf Kurdisch darüber beschwerte, dass das Kurdische von der Volksvertretung als "unbekannte" und damit nicht zugelassene Sprache eingestuft werde, schaltete die Sitzungspräsident kurzerhand sein Mikrofon ab. Vielleicht ist für Leyla Zana also doch noch einiges zu tun in Ankara.
Quelle...
Silav û Rêz
Azad
firat47
Gelöschter Benutzer
Re: Kurdenpolitikerin Zana kandidiert für Parlamentssitz
von firat47 am 14.04.2011 14:43Leyla Zana kandidiert
Am 12. Juni Parlamentswahlen in der Türkei
Von Nick Brauns *
Die Parteien in der Türkei haben am Montag (11. April) der Obersten Wahlaufsicht ihre Kandidatenlisten für die Parlamentswahlen am 12. Juni vorgelegt. Insgesamt 24 Parteien treten an. Chancen zur Überwindung der Zehn-Prozent-Wahlhürde haben dabei nur die seit 2002 mit absoluter Mehrheit regierende islamisch-konservative AKP-Partei von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sowie die bereits im Parlament vertretenen Oppositionsparteien der Kemalisten (CHP) und Faschisten (MHP). Während die AKP erneut auf eine Alleinregierung setzt, hält sich die CHP sowohl eine Koalition mit der AKP als auch mit der MHP offen. Die ebenfalls bislang in Fraktionsstärke vertretene prokurdische Partei für Frieden und Demokratie (BDP) hat beschlossen, wie schon bei der letzten Parlamentswahl mit unabhängigen Direktkandidaten anzutreten, um die Hürde zu überwinden. Gemeinsam mit 18 weiteren sozialistischen und prokurdischen Parteien und Organisationen hat die BDP dazu einen »Block der Arbeit, Demokratie und Freiheit« gebildet, der landesweit 61 unabhängige Direktkandidaten ins Rennen schickt. Die Kandidaten wurden am Wochenende aus 400 in Vorwahlen von der Parteibasis vorgeschlagenen Personen ausgewählt. Erklärtes Ziel der BDP, die zur Zeit 20 Abgeordnete stellt, ist es, 30 bis 40 Direktmandate zu gewinnen.
Bekannteste Kandidatin des Linksblocks ist die kurdische Politikerin Leyla Zana in Diyarbakir, die bereits Anfang der 90er Jahre ins Parlament gewählt wurde, aber aus dem Plenarsaal heraus mit weiteren kurdischen Abgeordneten verhaftet und langjährig inhaftiert wurde. Auch Zanas damaliger Mitgefangener Hatip Dicle, der jetzt dem aus Zivilorganisationen gebildeten Dachverband des Demokatischen Gesellschaftskongresses vorsteht, wurde als Kandidat nominiert. Dicle befindet sich seit Ende 2009 erneut in Haft, da er gemeinsam mit 150 weiteren kurdischen Politikern wegen angeblicher Mitgliedschaft in der illegalen Arbeiterpartei Kurdistans PKK angeklagt wurde. Er und fünf weitere als Kandidaten nominierte politische Gefangene kämen im Falle ihrer Wahl frei.
Erneut kandidieren auch die ehemaligen Vorsitzenden der 2009 verbotenen prokurdischen Partei für eine demokratische Gesellschaft DTP, Ahmet Türk und Aysel Tugluk. Beide waren zwar mit einem fünfjährigen Politikverbot belegt worden, das durch jüngste Verfassungsänderungen obsolet wurde. In der traditionell linken Bergregion Dersim tritt der bekannte Sänger Ferhat Tunc für den Linksblock an. Auch gegen Tunc laufen Strafverfahren, weil er in seinen Liedern von gefallenen maoistischen Guerillakämpfern sang. In aussichtsreichen Wahlkreisen außerhalb Kurdistans kandidieren Sozialisten wie der Vorsitzende der Partei der Arbeit EMEP, Levent Tüzel, in Istanbul und der Schriftsteller und ehemalige Stadtguerillaaktivist Ertugrul Kürkcü in Mersin.
Die Lösung der kurdischen Frage steht im Mittelpunkt der Forderungen des Linksblocks. So hat die BDP bereits in den letzten Wochen mit einer Kampagne zivilen Ungehorsams ihren Wahlkampf eingeleitet. Mit Demonstrationen und Straßenblockaden tritt die Partei für das Recht auf muttersprachlichen Unterricht, die Freilassung der politischen Gefangenen und ein Ende der Militäroperationen ein. Bei Polizeiübergriffen auf die Proteste oder Razzien bei kurdischen Aktivisten wurden dabei innerhalb eines Monats 149 Personen verhaftet, meldete die Partei am Wochenende. Zudem wurden mehrere Guerillakämpfer und Soldaten nach Angriffen der türkischen Armee in den letzten Tagen getötet.
* Aus: junge Welt, 12. April 2011