'Ich träume noch auf kurdisch'

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'Ich träume noch auf kurdisch'

von Azadiyakurdistan am 08.10.2013 00:34



Hayfa Kahraman ist in zwei Lebenswelten daheim: in der Sprache und jesidischen Religion ihrer kurdischen Herkunft genauso wie in der Jetzt-Zeit ihrer Tiengener Heimat. In einem Interview sprach die Studentin der Publizistik und Kommunikationswissenschaften über ihre kulturellen Wurzeln und ihren jesidischen Glauben, der in der Türkei, der Heimat ihrer Eltern, in den 90er Jahren hart verfolgt wurde.

Sie waren drei Jahre alt, als Sie mit Ihren Eltern aus der Südosttürkei nach Deutschland gezogen sind. Was war der Grund dafür?

Wir sind zum einen Jesiden, das ist eine uralte Religion, die es schon vor der islamischen Zeit gab und in der Türkei eine Minderheit ausmacht. Das Problem war, dass wir von der Regierung in der Türkei keinen Schutz hatten. Zum Zweiten sind wir Kurden, und in den 90er Jahren war die Situation sehr schwierig für uns. Meine Mutter spricht zum Beispiel kein Türkisch und früher war es in der Türkei auch verboten, kurdisch zu sprechen. Sie erzählt von Familien, bei denen sogar Soldaten vor der Tür standen und gelauscht haben, welche Sprache zu Hause gesprochen wird.

Also hatten Ihre Eltern Angst und haben deshalb die Türkei verlassen?

Ja, es gab ja viele Menschen, die einfach so verschwunden sind und keiner wusste offiziell, wo sie hingekommen sind. In den 90er Jahren hat das Militär tausende Dörfer zwangsgeräumt oder niedergebrannt. Dann haben meine Eltern mich und meinen Bruder bekommen und sie wollten uns eine sichere Zukunft bieten. Sie selbst hätten das Land vielleicht nie verlassen, aber sie wollten nicht, dass wir mit der gleichen Angst aufwachsen.

Und Ihre Eltern haben dann alles aufgegeben?

Ja, ihnen ging es wirtschaftlich eigentlich sehr gut, sie hatten riesige Felder, die für den Anbau von Getreide, Baumwolle und andere Nahrungsmittel genutzt wurden. Davon konnte man damals gut leben.

Haben sie sich in Deutschland mittlerweile gut integriert?

Ich finde sehr. Und auch, wie sie uns erzogen haben. Sie haben uns nie eingeschränkt und nie gesagt, dass etwas 'zu Deutsch' sei. Meine Mutter ist auch sehr stolz darauf, dass ich jetzt studiere. Weder mein Vater noch meine Mutter hatten etwas dagegen, dass ich zum Studieren so weit weg gehe. Ganz im Gegenteil. Sie haben mich immer sehr unterstützt. Das ist nicht bei allen Familien so, die aus der Türkei kommen. Bei uns ist das Vertrauen sehr groß. Das ist nicht selbstverständlich. Ich bin froh, dass ich so eine Familie habe.

Sind Sie noch in der Tradition Ihrer Eltern verwurzelt?

Kurdisch ist ja meine Muttersprache und die Sprache, mit der man aufwächst, bleibt immer die Sprache in der man denkt und auch träumt. Ich lebe ja seit zwei Jahren in Wien, wo ich auch studiere. Meine Mitbewohnerin hört dann manchmal, wie ich auf Kurdisch im Schlaf rede.

Sie haben gesagt, Sie sind Jesidin. Woran glauben Sie?

Bevor die Islamisierung eingesetzt hatte, sollen die meisten Kurden auch Jesiden gewesen sein. Heute gibt es etwa eine Million Jesiden, die vor allem in den Kurdengebieten, etwa der Osttürkei, Nordirak und Nordsyrien, leben. Wir glauben an einen Gott, der die Welt aus einer Perle erschaffen hat. Wir glauben an die Wiedergeburt und sagen, wenn jemand stirbt, dass er nur eine neue Hülle bekommt und die Seele weiterwandert.

Ähnlich wie bei den Hindus?

Ja, schon. Je nachdem wie man sich im Leben bewährt hat, wird man wiedergeboren. Im Nordirak haben wir unseren heiligen Tempel stehen, dort brennt Feuer. Das ist ja bei vielen älteren Kulturen ein wichtiges Element. Die jesidischen Mönche passen auf, dass dieses Feuer niemals erlischt. Feuer steht bei uns für Licht und Leben. Außerdem haben wir den Taus-i Melek, den Engel-Pfau. Er ist so etwas wie der Mittler zwischen Gott und den Menschen.

Kann man zum Jesidentum konvertieren?


Man kann nur als Jeside geboren werden. Dabei müssen beide Eltern jesidischer Abstammung sein. Sobald man einen Nicht-Jesiden heiratet, gehört man selbst nicht mehr der Glaubensgemeinschaft an. Das gilt für Männer und Frauen. Aber mein Großvater sagt zum Beispiel immer, ein Jeside kann ein guter Mensch sein, aber um ein guter Mensch zu sein, muss man kein Jeside sein. Wir denken, dass jede Religion ein Stück der Wahrheit ist, wir beanspruchen die wahre Religion nicht für uns. Uns ist klar, dass wir nur ein Teil davon sind.

Wie wird die Religion weitergegeben? Gibt es etwas wie die Heilige Schrift bei den Christen?

Nein, bei uns wird alles mündlich weitergeben – in Gedichten und Liedern.

Ist es schwierig für Sie, in beiden Kulturen zu leben?

Es war für mich in der Pubertät schwierig, weil ich nicht wusste, wie ich mich orientieren sollte. Mittlerweile habe ich den Dreh raus. Ich profitiere von beiden Kulturen – beides macht mich aus und bereichert mich.

Sprechen Sie zu Hause kurdisch?

Mit meinen Eltern schon, aber mit meinen Brüdern rede ich auch Deutsch. Wir sind ja alle hier zur Schule gegangen und können uns auf Deutsch besser ausdrücken. Es gibt Wörter, die wir auf Kurdisch nicht kennen.

Sie sagten, dass Sie in Wien studieren. Was studieren Sie da?

Ich studiere dort Publizistik und Kommunikationswissenschaften und komme ins fünfte Semester. Ich möchte Journalistin werden, da ich immer schon gern geschrieben habe, egal in welchem Fach. Und was passt dann besser als dieser Beruf.

Warum studieren Sie in Wien ?

Ich denke, dass man auch andere Orte kennenlernen sollte. Wien ist wunderbar, doch ich musste mich am Anfang schon sehr an die Großstadt gewöhnen. Aber ich komme auch immer wieder gerne nach Tiengen. Ich vermisse die Ruhe und die Geborgenheit. Aber jetzt möchte ich erst einmal andere Städte kennenlernen.

(BZ)

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