Syrer in Hannover haben Angst um ihre Verwandten
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Syrer in Hannover haben Angst um ihre Verwandten
von Azadiyakurdistan am 07.05.2011 15:51
Syrische Kurden in Hannover sorgen sich um ihre Verwandten – und demonstrieren am Freitag gegen das Regime, das sie vertrieben hat. Ein Besuch bei besorgten Exilanten in Hannover.
„Dieses Mal können sie es nicht vertuschen“: Über Handy und Internet informieren sich Hannovers Syrer über die Aufstände – und verschicken den Aufruf zu ihrer Demonstration.(© Martin Steiner)
Tengezar Marini ist Schriftsteller, Kurde aus Syrien. „Dies ist meine Stadt, die jeden Morgen unter den Schreien eines Kindes erwacht“ dichtete er 1992 während einer schweren Wirtschaftskrise in seinem Heimatland. Das Gedicht erschien in einer syrischen Literaturzeitschrift, am nächsten Tag stand der Geheimdienst vor der Tür und setzte ihn fest. Heute lebt Marini in Hannover.
Farha Khalil hat in den Achtzigern in Syrien Agrarökonomie studiert. Wenn sie in der Uni war, durchstöberten Mitarbeiter des Geheimdienstes ihr Wohnheimzimmer nach Flugblättern und verbotenen Schriften. „Sie hatten einen Generalschlüssel“, sagt Khalil. Ohne Genehmigung des Geheimdienstes darf kein Vogel fliegen, sagen sie in Syrien. Heute arbeitet Khalil als Sozialarbeiterin in Hannover.
Warchin Asad ist Informatikstudent. Zu seiner Zeit in Syrien sang ein kurdischer Freund von ihm beim Feiern ein Lied in seiner Muttersprache. Kurdisch ist verboten in Syrien. Der Geheimdienst nahm den Freund mit und verhörte ihn. Gemeinsam mit mehr als 20 Freunden wartete Asad vor der Polizeiwache, bis sie den Freund wieder laufen ließen. Heute studiert er in Hannover.
Glaubt man dem guten Dutzend Exilsyrer, das an diesem Abend in einem hannoverschen Wohnzimmer zusammensitzt, dann sind sie vor einem der rigidesten Regime der Welt nach Deutschland geflohen. Ein Regime, das sogar neunjährige Kinder festnimmt und quält, weil sie im Fernsehsender AlâÂÂDschasira revolutionäre Slogans aus Ägypten oder Tunesien gehört und sie in der Schule an die Tafel geschrieben haben. Ob all das stimmt oder nicht, lässt sich schwer überprüfen. Ausländische Journalisten dürfen nicht ins Land, einheimische nur Staatspropaganda verbreiten. Die Welt kann sich kein Bild machen. Sie verlässt sich auf Facebook und andere Internetforen.
Seit etwa sechs Wochen wankt dieses Regime, es wird erschüttert durch Proteste. Während die Regierung also von gewalttätigen Aufrührern spricht, vermitteln die Aufständischen ihren Freunden und Verwandten im Ausland per SMS, Handyvideo, Facebook und Twitter einen ganz anderen Eindruck: „Die Gewalt geht nicht von den Demonstranten aus, sondern vom Militär“, sagt Schriftsteller Marini.
Mohamed Asaad ist Bauingenieur, und er ist deutscher Staatsbürger wie fast alle rund um den Tisch. Seit sechs Wochen schläft er nachts kaum noch. Sein Neffe ist Soldat, Wehrdienstleistender, zurzeit eingesetzt in der Unruheprovinz Homs. „Manchmal wache ich auf und denke: Ist er tot oder lebt er noch?“ Wenn er den Befehl zum Töten bekomme, habe er zwei Möglichkeiten: „Er tötet, oder er wird getötet.“ „Schabiha“ heißt die Miliz, die sich unerkannt in den Reihen des Militärs bewegt. Ihre Mitglieder gelten als bezahlte Killer des Präsidentenclans. Wer nicht gehorcht, dem drohe das Erschießungskommando der Schabiha, sagt Asaad. Schlafen müssten die Soldaten im Freien, zu essen gebe es kaum.
Eine Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte, bangt in diesen Tagen um ihren Bruder und einen Neffen, die ebenfalls Wehrdienst leisten. Sie weiß nur, dass sie Häuser durchkämmen müssen auf der Suche nach denen, die das Regime „Terroristen“ nennt. Bisher habe ihr Bruder noch niemanden erschießen müssen, sagt sie. Sie lächelt, und ihr kommen die Tränen.
Wenn die hannoverschen Exilsyrer recht haben, dann gehen die mehr als 1000 Toten, die die Unruhen in Syrien bisher gekostet haben, nicht auf das Konto der Aufständischen. Es seien entweder Demonstranten, die das Militär getötet hat – oder Soldaten, die wegen Befehlsverweigerung getötet worden sind, sagen sie. Das Regime behauptet das Gegenteil.
Die meisten von denen, die an diesem Abend gekommen sind, gehören zur kurdischen Minderheit. Die Kurden stellen mit zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung die zweitgrößte Volksgruppe im von arabischen Sunniten dominierten Syrien. Die herrschende Clique von Präsident Baschar al-Assad wiederum besteht hauptsächlich aus Alewiten. Den Frauen und Männern rund um den Tisch aber ist wichtig, dass sie als Syrer sprechen, nicht als Kurden. Alles andere wollen sie beiseitelassen.
Schon früher hat es Aufstände und Unruhen gegeben in Syrien. „Dieses Mal aber ist es anders, dieses Mal können sie es nicht vertuschen“, sagt Farha Khalil. Weil es Handys gibt und soziale Netzwerke im Internet. Wer derzeit aus dem Exil auf dem Damaszener Flughafen lande, werde noch in der Halle vom Geheimdienst dazu gezwungen, seinen Laptop aufzuklappen, sagt Bauingenieur Mohamed Asaad. „Dann schauen sie, ob man bei Facebook die Seiten der Revolution angeklickt hat.“ Das syrische Telefonnetz kann das Regime blockieren, nicht aber Handys mit SIM-Karten aus Jordanien, der Türkei oder dem Libanon. So erfahren die Exilanten, was zu Hause passiert.
Am Freitag Mittag wollen Hannovers Syrer demonstrieren. Um 13 Uhr soll es auf dem Kröpcke losgehen, um 14 Uhr soll es einen Demonstrationszug zum Aegidientorplatz geben. Die Demonstranten wollen von der Weltgemeinschaft Solidarität fordern – aber keinen Kampfeinsatz. „Wir wollen auf keinen Fall ein Szenario wie in Libyen, wo sich das Volk gegen das Regime bewaffnet hat“, sagt Student Asad. Am Ende werde der friedliche Protest stark genug sein – dafür aber müsse der Westen Druck auf das Regime ausüben und die Aufständischen humanitär unterstützen. „Die Demonstranten brauchen keine Raketen, sondern Essen“, sagt Farha Khalil.
Vor einiger Zeit, bei einer Veranstaltung der Deutsch-Syrischen Gesellschaft, sind unbekannte Männer durch die Reihen des Freizeitheims Vahrenwald gegangen und haben jeden einzelnen Teilnehmer fotografiert. Hannovers Syrer sind sicher, dass die Männer vom Geheimdienst waren. Und sie sind sicher, dass sie am Freitag am Kröpcke wieder da sein werden.
[Felix Harbart]
(haz.de)
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