EU kritisiert Mangel an Grundrechten in der Türkei

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Mezrecux
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EU kritisiert Mangel an Grundrechten in der Türkei

von Mezrecux am 03.11.2010 23:36

Während die EU Ankaras Außenpolitik lobt, beklagt sie im neuen Fortschrittsbericht Probleme bei Medienfreiheit und Frauenrechten.


Türkische Studenten tragen zu Ehren von Staatsgründer Atatürk eine überdimensionale Fahne durch Ankara

Die Türkei macht nach Ansicht der Europäischen Union keine befriedigenden Fortschritte in Sachen Grundrechte. „Meinungsfreiheit und die Freiheit der Medien müssen sowohl per Gesetz als auch in der Praxis gestärkt werden. Defizite bleiben bei der Ausübung der Religionsfreiheit. Fortschritt ist auch bei Frauenrechten, Geschlechtergleichheit und den Rechten der Gewerkschaften notwendig“, heißt es im diesjährigen Fortschrittsbericht. Mit dem Report, welcher der WELT vorab vorliegt und am kommenden Dienstag präsentiert wird, zieht Brüssel sein jährliches Resümee über die Arbeit der EU-Beitrittskandidaten. Neben der Türkei sind auch Kroatien und Mazedonien Bewerber für eine Mitgliedschaft in der Union.

Die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU sind zunehmend von Schwierigkeiten geprägt. Im Land selbst nimmt der Zuspruch für den EU-Beitritt rapide ab, nur noch jeder dritte Bürger ist Umfragen zufolge dafür – vor fünf Jahren waren es noch 68 Prozent. Für Ankaras prowestliche Politiker wird es immer schwerer, ihren Wählern angesichts der ablehnenden Haltung Europas die Beitrittsperspektive schmackhaft zu machen.

Gleichzeitig sorgt die sich verändernde Außenpolitik Ankaras für Spannungen mit Brüssel. Die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan schlägt einen deutlich eigenständigen Kurs ein, sie richtet sich immer häufiger nach eigenen Interessen als nach denen der Partner in Europa und den USA. So erregte das türkische Veto gegen Iran-Sanktionen des UN-Sicherheitsrats vergangenen Juni großen Unmut. Auch die Schaffung einer Freihandelszone unter anderem mit Syrien sorgte für Irritation. Zeitgleich wurden die traditionell guten Beziehungen zu Israel vom heftigen Streit über den israelischen Angriff auf die „Gaza-Flottille“ überschattet, bei dem neun türkische Staatsbürger umkamen.

Trotzdem ist dem Report anzumerken, wie wichtig Ankaras Rolle in der Region für Brüssel ist: „Die Außenpolitik der Türkei ist in ihrer weiteren Nachbarschaft aktiver geworden. Dies ist ein Vorzug für die EU, vorausgesetzt, dies geschieht ergänzend zum Beitrittsprozess und in Koordinierung mit der EU.“ In Brüssel arbeitet man angesichts des stockenden Beitrittsprozesses schon länger daran, Ankara mit politischen Signalen bei der Stange zu halten.

Im Bericht wird auch explizit auf die Fortschritte bei Reformen hingewiesen. So lobt die Kommission das Verfassungsreferendum von Mitte September, das „Schlüsselreformen des politischen und juristischen Systems“ ermögliche. So würden die „Kompetenzen des Militärs limitiert, das Verfassungsgericht restrukturiert“, die Gerichtsbarkeit im Ganzen repräsentativer. Doch warnen die Brüsseler Erweiterungsprüfer zugleich davor, dass die Bürger konsultiert werden müssten, um die Umsetzung sicherzustellen: „Alle politischen Parteien und die Zivilgesellschaft müssen in diesen Prozess einbezogen werden“, heißt es in dem Papier.

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Brüssel beklagt zugleich, dass ein anderer Reformprozess stockt. Premier Erdogan war Ende 2009 auf die Kurden und andere Minderheiten zugegangen, um die Konflikte mit einer „demokratischen Öffnung“ zu entschärfen. Doch „vor allem in Bezug auf die Kurden-Frage hat dies bisher nur begrenzte Ergebnisse gezeigt“.

In Bezug auf Zypern sieht Brüssel gar kein Vorankommen: „Es gab keinen Fortschritt in Richtung einer Normalisierung der bilateralen Beziehungen.“

Ankaras Beitrittsprozess gestaltet sich seit Beginn im Oktober 2005 schwierig. Von 35 Kapiteln, die das Land abarbeiten muss, ist bisher nur eines abgeschlossen. Acht Kapitel liegen seit 2006 auf Eis, weil die Türkei sich weigert, ihre Häfen für den Schiffsverkehr aus dem griechischen Teil Zyperns zu öffnen. Kurz darauf blockierte Frankreich drei weitere Bereiche, 2009 fror man auf Initiative Zyperns weitere sechs ein.

So kann Ankara weiterhin nur an drei Kapiteln arbeiten, was so bleiben wird: Der neue Bericht gibt keine Empfehlung, blockierte Kapitel freizugeben, wodurch die Motivation noch sinkt, sich Europa anzunähern. „Der Teufelskreis, in dem die Türkei festhängt, dreht sich weiter“, sagt ein EU-Diplomat. Bereits 1963 hatte die Europäische Union den Türken in Aussicht gestellt, eines Tages Mitglied zu werden.


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