Hoffen auf das Jahr der Kurden

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Kudo21
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Hoffen auf das Jahr der Kurden

von Kudo21 am 17.06.2013 17:54




Einen „kurdischen Frühling" haben Politiker der PKK-nahen türkischen Parlamentspartei BDP schon vor Monaten kommen sehen. 2013 könnte tatsächlich das Jahr der Kurden werden, prophezeiten Beobachter des Nahen Ostens schon zu Jahresbeginn.

 

Der Zerfall Syriens und des Irak haben nicht nur den Kurden dieser beiden Länder neue Möglichkeiten eröffnet, sondern auch die Verhältnisse in der Türkei verändert. Noch nie war die größte staatenlose Nation der Region so nahe daran, ihr Schicksal selbst zu bestimmen.

Dass die türkische Regierung seit Jahreswechsel mit den Führern der militanten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verhandelt, habe mit den Umwälzungen in der Nachbarschaft zu tun: Davon sind Politikexperten in der Türkei überzeugt. Sogar das tödliche Attentat auf drei kurdische Aktivistinnen in Paris könnte internationale Hintergründe haben, würde sich doch ein Friedensschluss zwischen der türkischen Regierung und der PKK auf die Nachbarländer auswirken.

Arme Kurden, reiche Kurden

Aufgeteilt zwischen der Türkei, dem Iran, Syrien und dem Irak mussten die Kurden jahrzehntelang unter wechselnden Diktatoren leiden: Von Schah Resa Pahlewi bis zu General Evren, von den Assads bis zu Saddam Hussein. Der Traum von Großkurdistan, vor dem Ersten Weltkrieg von den Großmächten versprochen, blieb Utopie. Armut und Unterentwicklung schienen das unausweichliche Schicksal der kurdischen Regionen zu sein.

Seit dem Sturz Husseins in Bagdad hat sich im Nordirak nun zum ersten Mal ein „reiches Kurdistan" entwickelt: ein Landesteil, der zwar noch nicht als eigener Staat anerkannt wird, dafür aber große Erdölreserven besitzt und der enge Handelsbeziehungen mit den türkischen Nachbarn unterhält: Von Autos bis zu Hühnereiern gibt es fast nichts, was die Türkei nicht an den Irak verkauft.

Neue Allianzen

Der Irak-Krieg und der „arabische Frühling" haben neue Allianzen entstehen lassen und alte zerstört. Das säkulare Syrien, bisher ein enger Verbündeter der Türkei, ist nun dessen schlimmster Feind. Dafür wird in Ankara ausgerechnet mit dem irakischen Kurdenführer Massud Barsani über ein strategisches Bündnis verhandelt. Barsanis Hauptfeind, die schiitische Regierung in Bagdad, zählt mittlerweile auch zu den Gegnern Ankaras – ebenso wie der andere schiitische Nachbar der Türkei, der Iran.

Für die Anhänger der PKK bedeutet das Zusammenrücken der irakischen Kurden mit der türkischen Regierung eine Gefahr. In den letzten Jahren war der Nordirak ihr wichtigstes Rückzugsgebiet. Barsani könnte die neue Freundschaft mit dem türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan aber wichtiger sein als das Überleben der PKK. Das dürfte auch der Grund sein, dass der seit Jahren inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan der türkischen Regierung neuerdings entgegenkommen will.

Großkurdistan als Fernziel

Bei seinem Gespräch mit dem türkischen Geheimdienstchef Hakan Fidan soll sich Öcalan bescheiden gegeben haben: Von einem unabhängigen Kurdistan im Südosten der Türkei habe er nichts gesagt. Auch der Begriff „kulturelle Autonomie", bisher eines der wichtigsten Schlagworte der kurdischen Bewegung, sei in diesem Gespräch nicht gefallen, berichteten Insider.

Das ist wohl mehr als ein taktisches Zugeständnis. Türkische Journalisten vermuten, die PKK könnte das Ziel, für das sie fast 30 Jahre lang gekämpft hat, auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Wenn sich das irakische Kurdistan weiter so rasant entwickelt, wird das früher oder später auch dem benachbarten Südosten der Türkei Auftrieb geben - vorausgesetzt, Ankara lässt den Regionen des Landes mehr Eigenständigkeit – und darauf besteht Öcalan weiterhin. Wenn Bürgermeister, Bezirkschefs und Gouverneure in Zukunft mehr Macht erhalten, ergibt sich für die PKK eine neue politische Rolle: den Aufstieg des türkischen Südostens zu managen.

Die Trümpfe der PKK

Bisher hat die türkische Regierung die berüchtigten Anti-Terror-Paragrafen benützt, um den politischen Einfluss der PKK einzuschränken. Tausende Professoren, Schriftsteller, Journalisten und Studenten sitzen in Haft, weil ihnen Sympathien mit der PKK vorgeworfen werden. Doch Öcalan hat gegenüber der türkischen Regierung auch neue Trümpfe in der Hand.

Seit sich die Truppen des syrischen Regierungschefs Baschar al-Assad aus dem Norden Syriens zurückgezogen haben, fand die PKK dort ein neues Aufmarschgebiet. Vom Norden Syriens aus kann die PKK das türkische Militär angreifen und ebenso die Truppen Assads. Auch darüber soll bei den Geheimverhandlungen auf der Gefängnisinsel Imrali, wo Öcalan inhaftiert ist, gesprochen worden sein.

Überraschende Allianz

Schließlich könnte die PKK auch dem Machtstreben des türkischen Ministerpräsidenten dienlich sein. In eineinhalb Jahren will sich Erdogan zum Präsidenten der Türkei wählen lassen, ein Amt, das er bis dahin ganz auf sich zuschneidern will. Für einen eindrucksvollen Sieg im Bereich von 60 Prozent braucht Erdogan auch viele kurdische Stimmen. Das ist aber nur erreichbar, wenn er den Kurden mehr bietet als Großrazzien gegen die PKK.

Die Umwälzungen im Nahen Osten scheinen also drei Männer zusammenzuführen, die sich bisher nicht ausstehen konnten: Erdogan, Öcalan und Barsani. Was sie voneinander trennt – und das ist eine Menge –, könnte immer noch weniger zählen als das, was sie gegen andere Mächte der Region verbindet.

Christian Schüller, ORF.at

 

Quelle --->  ORF.at

Antworten Zuletzt bearbeitet am 17.06.2013 17:55.

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