Ansteigendes Wolfsgeheul
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Kurdewari
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Ansteigendes Wolfsgeheul
von Kurdewari am 21.08.2011 10:01Ansteigendes Wolfsgeheul
Union und SPD werben um Migranten. Sie laufen dabei Gefahr, türkische Ultra-Nationalisten salonfähig zu machen. Oft wird das Thema erst angesprochen, wenn es knallt
Integration ist kein einfaches Thema. Viele Einwanderer beklagen, dass deutsche Politiker über ihre Köpfe hinweg entscheiden. Viele Migranten engagieren sich aber auch in den Volksparteien. Dass darunter auch ultra-nationalistische Extremisten sind, wollen Union und SPD mitunter gar nicht so genau wissen.
Nationalisten demonstrieren: Die Hand formt das Zeichen der Grauen Wölfe (Foto: Francois Walschaerts / EPA / dpa)
Die Grauen Wölfe nutzen diese Ignoranz aus. Verfassungsschützer warnen bereits vor einem Einsickern der türkischen Ultra-Nationalisten in die etablierten Parteien. Die Behörden verweisen auf demokratiefeindliche Haltungen und die Feindbilder, die von den Grauen Wölfen propagiert werden: Kurden, Armenier, Juden, Christen, Homosexuelle.
Doch in der Politik finden die Warnungen erstaunlich wenig Gehör. In der Dekade seit den Anschlägen vom 11. September hat sich die Debatte fast ausschließlich auf die Bedrohung durch islamistische Extremisten verengt.
Marsch durch die Institutionen
Dabei wächst mit der längst überfälligen Öffnung der Parteien für Migranten auch das Risiko, dass dort nationalistische Extremisten Fuß fassen. Die SPD-Führung will auf dem Parteitag Anfang Dezember für ihre Gremien eine 15-Prozent-Quote für „Menschen mit Migrationsgeschichte" beschließen lassen. Eine Debatte, dass dadurch möglicherweise auch Extremisten auf höchster Ebene salonfähig werden könnten, findet nicht statt.
Dabei hat der Marsch der Grauen Wölfe durch die Institutionen längst begonnen. Das zeigt ein Beispiel aus Wetzlar. Noch Anfang des Jahres stand der türkisch-stämmige Bayram Serin für die SPD auf der Kandidatenliste der damals anstehenden Kommunalwahl. Die Partei hielt den Vorsitzenden des Ausländerbeirats für einen Glücksgriff. Mit ihm wollte sie unter türkischstämmigen Wählern punkten. Doch dann kam heraus, dass Serin im Vorstand des örtlichen Vereins der Grauen Wölfe war. Er zog sich zwar von der Kommunalwahlliste zurück, blieb aber weiter in der SPD.
Im Ortsverein scheut man ein Parteiordnungsverfahren und hat erst mal eine Anfrage im Willy-Brandt-Haus gestellt, ob eine Mitgliedschaft in der türkischen Mutterpartei der Grauen Wölfe, der „Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP), mit der SPD vereinbar ist. Eine Antwort aus Berlin haben die hessischen Genossen bislang noch nicht.
Türkische Innenpolitik
Immer wieder gibt es Hinweise, dass türkische Radikale sich in etablierte Parteien einschleichen. In Krefeld, Köln oder Wiesbaden gab es ähnlich gelagerte Fälle wie in Wetzlar. Der Düsseldorfer Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel (SPD) klagt, dass in NRW das Deutsch-Türkische Forum der CDU und auch vereinzelt seine Partei von Mitgliedern der Grauen Wölfe infiltriert seien. „Auch in Integrationsbeiräten sind die Grauen Wölfe inzwischen sehr präsent".
Dabei ist die Sorge, die Infiltration habe eine Türkifizierung der deutschen Politik zum Ziel, unbegründet. Dafür sind die extremistischen Gruppen zu klein und es ist auch nicht ihr Ziel, Deutschland zu einem Teil der Türkei zu machen. Sie wollen hier vielmehr „türkische Innenpolitik" betreiben. So sollen deutsche Politiker im Sinne türkisch-nationalistischer Positionen beeinflusst werden. Angefangen von der Definitionshoheit über die türkische Kultur bis hin zu brisanten Themen wie der Kurden- oder Armenierfrage.
Doch das Thema wird tabuisiert. Wenn es durch Medienberichte aufkommt, setzen Kommunalpolitiker meist auf einen integrativen Dialog. Dahinter steckt die Hoffnung, der „extremistische Überbau" der Mitglieder werde sich durch die Mitarbeit in demokratisch gewählten Zirkeln mit der Zeit schon abschleifen.
Scheu vor offenen Worten
Der Bielefelder Soziologe Emre Arslan hat über die Mythenbildung in Deutschland lebender Mitglieder der Grauen Wölfe geforscht. Er hält diese Hoffnung für trügerisch. „Wenn Mitglieder der Grauen Wölfe in Parteien und Parlamente gehen, ist es nicht ihre Absicht, Demokratie zu lernen, sondern politische Entscheidungen in ihrem Sinne zu beeinflussen", sagt er. Außerdem wüchse ihre Anerkennung in der türkischen Community, wenn sie durch ihr politisches Engagement an Informationen und Ressourcen gelangen.
Würde ein vergleichbarer integrativer Dialog mit Vertretern des deutschen Rechtsextremismus gepflegt, wären NPD-Abgeordnete inzwischen längst salonfähig. Das sind sie aber aus gutem Grund nicht. Für türkische Rechtsextreme soll das nicht gelten. Warum eigentlich?
Eine Erklärung könnte die Scheu vieler Politiker vor offenen Worten in der Integrationspolitik sein. Solange sich türkische Ultra-Nationalisten an die demokratischen Spielregeln halten, wird ihr ideologischer Hintergrund ausgeblendet oder als „kulturspezifisch" verharmlost. Als Pflichtübung gehen Kommunalpolitiker zum Fastenbrechen auch in Moschee, von Vereinen der Ultra-Nationalisten oder lassen sich auf Integrationsfesten beim Verzehr „türkischer Köstlichkeiten" ablichten. Der politische Hintergrund der rund 150 Vereine der Grauen Wölfe in Deutschland interessiert sie nicht. Das Politische wird gleichsam als Privatsache behandelt.
Ehrliches Interesse fehlt
Claudia Dantschke kennt viele Beispiele für diese Ignoranz. Die Rechtsextremismus-Expertin vom Berliner Zentrum Demokratische Kultur wird von Kommunen und Bildungsträgern als Referentin eingeladen, wenn es geknallt hat. Wenn etwa kurdische und türkisch-nationalistisch gesinnte Jugendliche aufeinander losgegangen sind. Dann vermittelt sie Politikern und Pädagogen Basiswissen über diese Formen des Extremismus. „Es wird immer noch paternalistische Politik gegenüber Migranten betrieben. Es fehlt ein ehrliches Interesse", sagt sie. Das gelte oft auch gegenüber den eigenen Parteimitgliedern. Wer sich ernsthaft für seine Parteifreunde interessiere, könne auch ohne Gesinnungsschnüffelei leicht erkennen, wenn sich ein ideologischer Hardliner ein demokratisches Deckmäntelchen übergestreift hat.
Die Hoffnung, dass sich das Problem des nationalistischen Extremismus bei den hier aufwachsenden Jugendlichen von alleine lösen wird, ist trügerisch. Lehrer und Sozialarbeiter berichten von einer „Re-Nationalisierung" der Schulhöfe. Die Herkunftskultur der Eltern habe inzwischen eine viel größere Bedeutung als noch vor wenigen Jahren. Solange Migranten in der Schule oder auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden, wird die Sehnsucht, irgendwo richtig dazu zu gehören, weiter wachsen. Mythen wie die vom Grauen Wolf (türk.: Bozkurt), der das türkische Volk aus einer bedrohlichen Situation heraus geführt haben soll, können dabei identitätsbildend sein. In zahllosen Internetvideos verherrlichen hier aufgewachsene Jugendliche ihr Türkentum. Die Selbstethnisierung von Teilen der Einwanderungsgesellschaft ist längst Realität.
Vor diesem Hintergrund scheint es fatal, dass dem ansteigenden Wolfsgeheul in der deutschen Politik bislang so gut wie nichts entgegengesetzt wird. Doch in den Parteien regt sich dagegen inzwischen Widerstand. Die Vorreiter sind selbst Kinder von Einwanderern.
Im Kern faschistoid
„Diesen Rechtsextremismus haben unsere Eltern in der Türkei erleben müssen", sagt Ohannes Altunkaya. Er stammt aus einer aramäisch-armenischen Familie und ist Mitglied der CDU. Er will nicht hinnehmen, dass in seiner eigenen Partei Mitglieder von einer vermeintlichen Überlegenheit des Türkentums schwärmen. Der junge Frankfurter engagiert sich im Christlich-Alevitischen Freundeskreis (CAF) der CDU. Der CAF will innerhalb der Partei Aufklärungsarbeit über ultra-nationalistische Tendenzen betreiben und setzt sich kritisch mit politisch aktiven Personen aus diesem Umfeld auseinander.
Auch in der SPD gibt es Mitglieder, die das Tabu aufbrechen wollen. Der Landtagsabgeordnete Yüksel will auf dem kommenden Parteitag einen Antrag einbringen, wonach SPD-Mitglieder nicht in der MHP sein können. „Wer in der SPD ist, kann nicht Ziele einer im Kern faschistoiden Partei vertreten, das widerspricht all unseren Idealen", sagt Yüksel. Die Unzufriedenheit mit dem Kurs der Partei in dieser Frage ist auch bei Gesprächen mit anderen Genossen türkischer Herkunft spürbar. „Nur um an Stimmen von türkisch-stämmigen Wählern ranzukommen, darf das Thema Nationalismus nicht länger tot geschwiegen werden", sagt ein Sozialdemokrat aus Bayern. Er betreibt hinter den Kulissen Aufklärungsarbeit über Ultra-Nationalisten und will deshalb nicht namentlich genannt werden.
Allein der Wetzlarer Fall bezeugt schon die Dimension des Problems. Das frühere Vorstandsmitglied des dortigen Vereins der Grauen Wölfe, Habib Yalcin, erzählt, dass Serin als junger Mann von den Altvorderen ausgeguckt wurde, um den Verein nach außen zu vertreten. Er droht: „Wenn ihr Leute wie ihn aus der Partei rausschmeißt, habt ihr bald keinen Nachwuchs mehr".