Die Nation ist alles
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GulaKurdistane
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Die Nation ist alles
von GulaKurdistane am 17.12.2010 21:31Von Stefanie Schoene
Dr. Gülistan Gürbey ist überzeugt: Nicht der Hype um den Islam, sondern ein tief verwurzelter Nationalismus blockiert den türkischen Staat auf seinem Weg in die EU und im Umgang mit seinen nichttürkischen und religiösen Minderheiten. Als Voraussetzung für die Aufnahme in die EU fordert die Europäische Kommission seit 1993 die „Achtung und den Schutz von Minderheiten“. Das, so referiert die Berliner Politikwissenschaftlerin im Mesopotamienverein in Augsburg auf Einladung der Interkulturellen Akademie, ist es, was den türkischen Staatsvertretern seitdem erhebliche Kopfschmerzen bereitet.
Seit dem Ende des Osmanischen Reiches sind immerhin Griechen, Armenier und Juden als Minderheiten anerkannt und genießen das Recht, eigene Gotteshäuser und Schulen zu bauen. Für die heute größte Minderheit, die etwa 12 Millionen Kurden, hingegen gilt bis heute sogar ein nur eingeschränktes Recht auf den Gebrauch ihrer Sprache. Sogar die Verwendung der Buchstaben „W“ oder „X“, die dem Türkischen unbekannt sind, kann für sie nach wie vor saftige Geldstrafen nach sich ziehen.
Zwar beschloss das Parlament in Ankara zwischen 1999 und 2004 zahlreiche Gesetzesänderungen, sodass das Strafgesetzbuch inzwischen rechtsstaatlichen Normen entspricht. Die Forderungen der EU gehen jedoch weiter.
Das Eingeständnis, dass es in der Türkei überhaupt etwas anderes als „Türken“, nämlich sich religiös oder sprachlich definierende Minderheiten gibt, kratzt am Fundament der Staatsdoktrin von der „Unteilbarkeit des türkischen Staates und seiner Nation“: „Der Schutz dieser Einheit ist als staatliche Aufgabe in Artikel 5 der Verfassung festgeschrieben und in jahrzehntelanger akribischer Arbeit in den Köpfen der Bevölkerung, im Erziehungssystem und in den Schulbüchern fest verankert worden“, erläutert Gürbey. „Trotz aller Reformbemühungen - da wagt sich niemand dran.“
Wer in der Türkei lebt, so das politische Verständnis, ist Türke und Sunnit. Dieser Staatsnationalismus in Politik und Justiz brachte den Reformeifer nach dem Jahr 2004 zum Erliegen. Für Kurden, Aleviten, Assyrer, Aramäer und etwa 44 weitere Ethnien hat Gürbey eine Hoffnung: „Je mehr Minderheiten Forderungen im Sinne der EU stellen, desto eher lässt sich dieser nationalistische Konsens aufbrechen.“
Quelle