Internationales Kurdisches Kultrufestival 2012 Live
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Generalverdacht und Verallgemeinerung erneut auf der Tagesordnung: Waren es wieder die Kurden?
von Azadiyakurdistan am 19.09.2012 23:35
Von Yilmaz Kaba
Das größte Hindernis für die Integration und Partizipation sind das bestehende PKK-Verbot und die Nicht-Anerkennung der Kurdinnen und Kurden als eigenständige Migrantengruppe. Yilmaz Kaba, Mitglied im Vorstand von YEK-KOM, der Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V., zuständig für Jugend und Öffentlichkeit und Mitglied im Landesvorstand Niedersachsen DIE LINKE, hat uns einen Kommentar zu den Ausschreitungen am Rande des 20. Internationalen Kurdischen Kultur-Festivals vom 8. September in Mannheim geschickt.
In der Illustrierten "Stern" erschien in den 1990er Jahren eine Karikatur: In einem Kinderzimmer sitzt ein weinender Junge inmitten von lauter zerstörten Möbeln und Spielsachen. Die Mutter steht in der Türe und schaut mit entsetztem Blick auf dieses Chaos. Die Sprechblase über ihrem kleinen Sohn: „Mama, das waren die Kurden." Diese Darstellung traf und trifft bis heute sehr gut den Kern der weitreichenden Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden in Deutschland.
„Was habt ihr Kurden da schon wieder angestellt?" Diese und wahrscheinlich viele andere Rechtfertigungsfragen haben sich nach dem Festival tausende von Kurdinnen und Kurden u.a. von ihren Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen, Mitschülerinnen und Mitschülern sowie von vielen anderen anhören müssen. Immer wieder wurde und wird die hier lebende kurdische Bevölkerung zum Opfer der einseitigen Berichterstattung durch die deutschen Medien, doch waren die letzten Jahre im Verhältnis zur Berichterstattung hinsichtlich der sogenannten "Krawalle von Mannheim" noch zurückhaltend.
Es ist fatal und alles andere als im Sinne eines rechtsstaatlichen, demokratischen und fortschrittlichen Staates, welcher Schaden mit dieser einseitigen und verallgemeinernden Sichtweise auf die Ereignisse verursacht wurde. Eine ganze Bevölkerungsgruppe, welche zum Teil schon seit über 50 Jahren in Deutschland lebt, wurde von heute auf morgen wieder einmal unter einen die Betroffenen diskriminierenden Generalverdacht gestellt. Jenen, die diese Nachrichten lesen oder hören, wird ein Bild vermittelt, welches die Kurden grundsätzlich als gewalttätig und Krawallmacher stigmatisiert. Eine Bevölkerungsgruppe, die sich gegen den Rechtsstaat stellt, die Gesetze bricht und sich die deutsche Polizei als Feindbild aufgebaut hat. Das ist für uns entwürdigend und erinnert fatal an die kurdenfeindliche und rassistische Einstellung der Verantwortlichen in der Türkei.
Judikative und Legislative müssen endlich handeln, damit es in Zukunft nicht wieder zu derartigen Auseinandersetzungen kommt, die das Verhältnis zwischen Exekutive und Bürgerinnen und Bürger negativ und nachhaltig belasten.
Von Anfang an war für die Organisatoren des Festivals und zahlreiche Gäste aus dem In- und Ausland eine feindliche Atmosphäre spürbar und auch durch die provokativ massive Präsenz der Polizei sichtbar, wie sich das Fest offenbar entwickeln sollte. Die Kurden wurden allein als Sicherheitsproblem eingestuft und dem entsprechend war die Herangehensweise: Entweder man erreicht es, die Kurden einzuschüchtern, und wenn nicht, müssen sie notfalls mit gezielter Gewalt unter Kontrolle gebracht werden.
Auf dieser Basis sind offensichtlich auch in den Zeitungsredaktionen die Berichte über die Festival-Ereignisse verfasst worden. Nahezu alle stellen bei der Thematik „Kurden" und „Kurdistan" immer wieder die Zusammenhänge mit Gewalt und dem bewaffneten Kampf her.
Keiner dieser Artikel enthält irgendeine Hintergrundinformation über die Leidens- und Opfergeschichte der Kurden, die jahrzehntelange blutige Unterdrückung durch die türkischen Regime, die Vertreibungen, die Dorfzerstörungen, die Umweltvernichtung, die zahllosen Morde durch „unbekannte" Täter, die Folterungen in Gefängnissen und auf Polizeistationen, den Einsatz von sogenannten Dorfschützern und Todesschwadronen, die massenhaften Verhaftungen von türkischen und kurdischen Menschenrechtlern, Journalistinnen und Journalisten, Abgeordneten, Jugendlichen und sogar Kindern. Der Platz reicht nicht aus, um darzustellen, mit welchen Zumutungen das kurdische Volk seit so langer Zeit konfrontiert wird – bis heute.
Das Benennen dieser Fakten wird voll und ganz außer Acht gelassen und somit werden den LeserInnen wichtige Informationen vorenthalten, die jedoch für ein Verständnis der Konflikte und Probleme unabdingbar sind.
Tatsache ist, dass die Mehrheit der etwa eine Million in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden einer solchen unmenschlichen Politik ausgesetzt waren und sind, dass sie wegen dieser und aus Angst um ihr Leben die Heimat Kurdistan verlassen mussten. Die Menschen leben hier, aber ihre Angehörigen, Familien und Freunde in der Türkei, in Syrien, Iran oder im Irak sind in ihren Herzen und in ihren Köpfen. Sie erinnern sich an Fakten wie diese:
Ja, es waren wieder einmal die Kurden, denen kein Recht auf ein friedliches Leben in Würde gewährt wird.
Ja, es waren wieder einmal die Kurden, die zusehen mussten, wie ihr Land niedergebrannt, zerstört und aufgeteilt wird.
Ja, es waren wieder einmal die Kurden, die miterleben mussten, wie ihre Familienangehörigen abgeholt wurden und nie zurück kamen.
Ja, es waren wieder einmal die Kurden, auf deren Rücken internationale Rüstungsabkommen abgeschlossen wurden, von denen insbesondere Deutschland profitiert hat und weiterhin seinen Nutzen zieht.
Wie korrespondiert diese Tatsache mit der von PolitikerInnen wiederholt erhobenen (richtigen) Forderung, dass es darauf ankomme, dass die Fluchtursachen in den Herkunftsländern von Flüchtlingen beseitigt werden müssten, wenn gleichzeitig immer neue Fluchtgründe geschaffen werden, wie beispielsweise durch die Unterstützung der Kriegslogik des NATO-Partners Türkei oder der Lieferung von Waffen an diese Armee?
Vielen ist vielleicht nicht bekannt und bewusst, dass die meisten hier lebenden Kurden von der BRD als politisch Verfolgte anerkannt wurden. Dass die Kurden sich weiterhin für die Belange und für einen gerechten Frieden sowie ihre Freiheit einsetzen, dürfte daher eigentlich kein Problem darstellen. Doch spricht die Realität eine andere Sprache.
Immer wieder und nahezu alltäglich, werden Kurdinnen und Kurden, die sich politisch in deutschen Parteien, in legalen Vereinen, Organisationen, Verbänden etc. engagieren und sich auf der einen Seite für die Kurden in Deutschland einsetzen und auf der anderen Seite gegen den Krieg in Kurdistan, welcher immer noch verschwiegen wird, diese Fakten in die Öffentlichkeit tragen möchten und sich für eine diplomatische und friedliche Lösung einsetzen, Opfer auch der deutschen Politik. Sie sind einer nicht enden wollenden Kriminalisierung ausgesetzt und ständig mit hohen Strafen bedroht. Und davon betroffen ist inzwischen schon die dritte Generation, sind Kinder und Jugendliche, die hier geboren sind und hier aufwachsen, die versuchen, sich in diese Gesellschaft zu integrieren und ihren Beitrag dazu leisten wollen. Stattdessen schlägt ihnen Rassismus, Hass und Ablehnung entgegen. Das können die politisch Verantwortlichen doch nicht wirklich gutheißen.
Für Millionen von Kurdinnen und Kurden ist die Arbeiterpartei Kurdistans PKK eine legitime Vertretung für ihre Interessen im Kampf gegen Krieg, Unterdrückung aber vor allem für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung. Es gibt von Seiten der kurdischen Bevölkerung in keiner Weise Verständnis dafür, dass die Symbole dieser Freiheitsbewegung verboten sind und nicht getragen bzw. gezeigt werden dürfen.
Was versuchte der 12jährige Kurde auf dem Mannheimer Festival zu bewirken, als er eine Flagge zum Festival mitnahm und sie dort zeigen wollte? Wollte er damit die deutsche Justiz verärgern? Wollte er damit die deutsche Polizei oder gar die deutsche Politik provozieren? Nichts von alledem - er wollte damit seine Verbundenheit mit der Freiheitsbewegung Kurdistans verdeutlichen und gleichzeitig beweisen, dass er zu seiner Herkunft mit all ihren Facetten steht.
Wäre die Polizei nicht darauf aus gewesen, hier willentlich einen Konflikt vom Zaun zu brechen, dann hätten sie diesen Jungen mit ihrem ihm Hinterherlaufen nicht erschrecken dürfen. Statt ihm auf diese Art und Weise zu zeigen, dass die Fahne, die er dabei hat, verboten ist, wäre es in Sinne eines Dialoges besser gewesen, einen anderen und vor allem für den Jungen verständlicheren Weg zu finden, um ihm klar zu machen, warum ein demokratisches und rechtsstaatliches Land wie Deutschland eine Fahne mit den kurdischen Nationalfarben verbietet.
Doch wie reagierten Politik, Gewerkschaft und Justiz? Mit Einschränkung der Demokratie für Kurden, der Forderung von Verbot von solchen und ähnlichen Veranstaltungen, von weiteren juristische und politischen Konsequenzen, nach dem Verbot von YEK-KOM und deren Vereinen. Dies ist ganz klar und deutlich in erster Linie ein Schlag gegen die Demokratie in Deutschland. Genau wie das PKK-Betätigungsverbot von 1993, das die eigentliche Ursache ist für eine zwei Jahrzehnte währende und unwürdige Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden.
Aus diesem Grund sind auch die Aussagen des baden-württembergischen Innenministers Reinhold Gall erschreckend und zeigen erneut, wie man der Diskussionen um den Kern der Problematik ausweichen möchte. Diese Vorgehensweise torpediert den längst fälligen Dialog, den die kurdische Seite vielfach angeboten hat, der jedoch permanent ignoriert worden ist.
Herr Gall verteidigt das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit, doch das steht auch den Kurden in Deutschland zu.
Dialog ist für das friedliche Zusammenleben unabdingbar. Wie in den Jahren zuvor und auch weiterhin, ist und war die kurdische Seite immer wieder offen für den Dialog und hat diesen immer wieder gefordert und gefördert. Unabdingbar für ein friedliches und politisches Zusammenleben ist aber eine offene Debatte auf gleicher Augenhöhe. Die Frage, die sich viele Kurdinnen und Kurden, aber auch zahlreiche andere Bürgerinnen und Bürger in Deutschland stellen, ist: „Was hat das PKK-Verbot heute noch für einen Sinn, und was behindert eine Aufhebung dieses Verbots?"
Sollte sich die Politik wirklich um eine nachhaltige und effektive Lösung der so genannten Kurdenfrage in Deutschland bemühen, ist der erste und ausschlaggebende Schritt, das PKK-Verbot aufzuheben. (PK)
Silav û Rêz
Azad