Sultan Erdogan

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Mezrecux
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Sultan Erdogan

von Mezrecux am 04.02.2011 18:43

Türkischer Ministerpräsident buhlt um Stimmen im nationalreligiösen Lager
Von Nick Brauns

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat seinen arabischen Amtskollegen nahegelegt, auf des Volkes Stimme zu hören. Unterdessen werfen ihm Kritiker im eigenen Land vor, er gebärde sich wie ein Sultan, der seinen Untertanen die richtige Lebensweise vorschreiben wolle.

Eine 35 Meter hohe Steinstatue in Kars nahe der Grenze zu Armenien ist zu einem Symbol für den Kulturkampf zwischen der islamisch-konservativen AKP-Regierung und ihren Kritikern geworden. Bei einem Besuch in Kars hatte Erdogan im Januar das eine türkisch-armenische Versöhnung anmahnende »Monument der Menschlichkeit« des Bildhauers Mehmet Aksoy als »Monstrosität« bezeichnet, die nicht in die islamische Umgebung passe. Nach einer wochenlangen medialen Debatte über die Freiheit der Kunst folgte nun die rechte Stadtratsmehrheit in Kars dem Wunsch des Ministerpräsidenten und ordnete den Abriß an.

Das offensichtliche Buhlen der Regierung um Stimmen aus dem rechten nationalreligiösen Lager im laufenden Parlamentswahlkampf hat die proeuropäischen liberalen Intellektuellenkreise in Istanbul verunsichert, die bislang zu den engsten Unterstützern des AKP-Reformkurses gehörten. Nachdem Ahmet Altan, Chefredakteur der für ihre antimilitaristischen Enthüllungen bekannten und bislang als regierungsnah geltenden liberalen Tageszeitung Taraf, den Ministerpräsidenten in einem Leitartikel als Opportunisten angriff, verklagte ihn Erdogan wegen »Verunglimpfung« auf Schadensersatz in Höhe von 25000 Euro.

Daß es der AKP nicht nur um Stimmenfang geht, befürchtet dagegen die kemalistische Oppositionspartei CHP. »Wir sind der festen Überzeugung, daß die AKP eine geheime Agenda hat«, erklärte CHP-Chef Kemal Klçdaroglu. »Daher meinen wir, daß ihre pro-demokratische und pro-menschenrechtliche Haltung nicht aufrichtig ist.« In ihrer Befürchtung über eine von der AKP angestrebte Islamisierung der Türkei sehen sich die Laizisten durch eine im Januar in Kraft getretene Alkoholverordnung bestätigt, die Ausschank auf Hochzeiten, Sport- oder Kulturveranstaltungen ohne staatliche Sondererlaubnis verbietet. Daß es der Regierung, die in der Verordnung die Altersgrenze für den Erwerb von Alkohol kurzerhand von 18 auf 24 Jahren anhob, nicht allein um Jugendschutz geht, bestätigte Vizeministerpräsident Bülent Arinc indirekt mit seiner Rechtfertigung: »Das Leben besteht nicht nur aus Alkohol und Sex.« Mit Bier und Raki protestierten am Wochenende Hunderte über Facebook mobilisierte Demonstranten in Ankara gegen staatliche Bevormundung.

Als Zeichen einer weiteren Islamisierung des Landes erscheint auch ein Urteil des Obersten Gerichtshofes, der vergangene Woche die Ländereien des syrisch-orthodoxen Klosters Mor Gabriel in der südöstlichen Provinz Mardin zugunsten des Staates enteignete. Seit 2008 hatten AKP-Politiker benachbarte Dorfvorsteher zu einer Prozeßlawine gegen das Kloster ermutigt und dabei auch die Behauptung erhoben, das in vorislamischer Zeit errichtete Kloster stehe auf dem Grund einer zerstörten Moschee. Der Verlust seiner landwirtschaftlich genutzten Flächen würde das Ende dieses aus dem 4. Jahrhundert stammenden Zentrums der christlichen Minderheit bedeuten.

Unterdessen beklagen Gewerkschaften massive Angriffe der AKP-Regierung auf Arbeiterrechte. Trotz eines vom Gouverneur erlassenen Verbots einer Menschenkette um das Parlament protestierten am Donnerstag in Ankara über zehntausend aus dem ganzen Land angereiste Mitglieder linksgerichteter Gewerkschaften gegen ein Gesetzespaket zur weiteren Deregulierung des Arbeitsmarktes. Die Polizei griff die Demonstrationszüge mit Schlagstöcken und Gasgranaten an.

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