Wussten Sie, dass die AKP die Kurden vertritt? (Eine kurze Lageanalyse)
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Zagros
Gelöschter Benutzer
Wussten Sie, dass die AKP die Kurden vertritt? (Eine kurze Lageanalyse)
von Zagros am 30.11.2011 11:21Wussten Sie, dass die AKP die Kurden vertritt?
Songül Karabulut
Der Staat der AKP, der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung, führt einen umfassenden Krieg gegen das kurdische Volk. Für den Fall, dass Sie mir nicht glauben, hier einige Fakten:
– Seit dem 17. August 2011 führt die Türkei ununterbrochen grenzüberschreitende Luftangriffe auf die von der Guerilla kontrollierten Medya-Verteidigungsgebiete in Südkurdistan (Nordirak) durch. Vorbereitungen für eine Bodenoffensive laufen mit voller Geschwindigkeit weiter.
– Seit dem 27. Juli wird der kurdische Volksvertreter Abdullah Öcalan in der Haft einer verschärften Isolation ausgesetzt und die seit einigen Jahren mit ihm auf Imralı geführten Gespräche einer Delegation der Türkei sind seitdem eingestellt.
– Eine neue Welle von Operationen des politischen Genozids hat begonnen. Allein in den letzten sechs Monaten wurden 4 148 Personen festgenommen, davon kamen 1 548 Menschen in Haft.
– Mit neuen Erlassen wurde erneut das Betreten von Viehweiden verboten. Für den Zeitraum vom 3. Oktober bis zum 3. Januar wurden in vier Provinzen insgesamt 15 Regionen zu militärischen Sperrzonen erklärt.
– Es wird an einem Gesetz gearbeitet, nach dem Kopfgeld für „Terroristen" ausgeschrieben werden soll. Wer zu ihrer Festnahme beiträgt, soll finanziell belohnt werden.
Ich will die Auflistung dabei belassen und nun versuchen, die Frage nach dem Charakter dieses Krieges zu beantworten. Warum wird er geführt?
Die AKP-Regierung (inzwischen der AKP-Staat) hat sowohl innenpolitische als auch internationale Ambitionen. Innenpolitisch ist die AKP darauf aus, alles kontrollieren zu wollen. Also alleiniger Machtanspruch im Staat. Zum größten Teil ist es ihr auch gelungen. Justiz, Sicherheit, Bildung, Armee, Wirtschaft und nicht zu vergessen die Medien hat sie nacheinander unter ihre Kontrolle gebracht. Alles könnte so schön sein, wären da nicht die Kurden, die nicht mehr kontrolliert werden wollen, die nicht mehr Objekt der historischen Etappen sein wollen, die sich nicht mehr betrügen lassen wollen. Diese „widerspenstigen, rückständigen Banditen" von Kurden glauben im Ernst, dieselben Rechte zu haben wie alle anderen Völker auch. Sie glauben im Ernst, den Türken, Arabern, Persern, Europäern gleichwertig zu sein. Sie glauben daran, einen Staat dazu bewegen zu können, ihre Existenz und ihre Rechte zu akzeptieren. Die sind ja vollkommen „übergeschnappt" und müssen daher des Besseren „belehrt" werden! Sie müssen, koste es, was es wolle, in ihre „Grenzen" verwiesen werden. Es ist ein Alptraum für Vertreter des Staates, wenn eine Gruppe seiner Bürger sich ihm entzieht. Wenn sie sich verweigert. So ungefähr lässt sich die türkische Mentalität beschreiben, so war es früher und ist es heute noch.
Sie finden, ich übertreibe?
Nun gut, wie bitte soll ich – nur als Beispiel – die folgenden Äußerungen und Handlungen bewerten: Die Kurden sagen, wir sind ein Volk (gibt es jemand, der das Gegenteil behauptet?), und wollen als solches offiziell anerkannt werden und von ihren Rechten wie z. B. muttersprachlicher Bildung, Selbstverwaltung, Organisierungsfreiheit etc. Gebrauch machen. Erdoğan aber sagt: Nein, ihr seid Türken mit kurdischen Wurzeln. Ihr dürft Bildung nur in Türkisch genießen und habt kein Recht auf Selbstverwaltung. Alle unabhängigen Organisierungen der Kurden werden als Terrorstruktur diffamiert und zum staatlichen Angriffsziel erklärt. Parteien werden verboten, Bürgermeister und Politiker (auch Abgeordnete) verhaftet, kurdische Medien zensiert oder verboten etc.
Oder die Kurden sagen: Abdullah Öcalan ist mein politischer Vertreter (offiziell haben 3,5 Mio. Kurden eine entsprechende Petition eingereicht), der sich für meine Rechte einsetzt. Erdoğan dagegen: Nein, Öcalan ist Terrorist, wer von ihm mit Respekt spricht, wird abgeurteilt. Die AKP ist eure Vertreterin. Wir haben soundsoviele kurdischstämmige Abgeordnete in unserer Partei. Also vertreten wir euch und nicht die PKK (Arbeiterpartei Kurdistan) oder die BDP (Partei für Frieden und Demokratie) oder der DTK (Kongress für eine Demokratische Gesellschaft), wie ihr behauptet. Damit unterstreicht er eigentlich noch einmal, dass er die Kurden als Volk nicht akzeptiert und ihnen folglich auch kein Vertretungsrecht zugesteht.
Die Kurden erklären das Projekt der Demokratischen Autonomie zu ihrem Lebens- und Lösungsmodell. Der Staat sagt: Das ist Separatismus, ihr könnt euch nicht verwalten. Wie könnt ihr mehr Rechte einfordern, als wir euch zu geben bereit sind? Im Namen der Einheit, von Erdoğan immer wieder als „ein Staat, eine Nation, eine Sprache, eine Flagge!" umschrieben, müsst ihr auf eure legitimen Rechte verzichten.
Erdoğan ruft „seine" moslemischen kurdischen Bürger dazu auf, sich von ihrer eigenen Bewegung (der kurdischen Befreiungsbewegung) zu distanzieren. Es sei ihm ein Rätsel, wie die Kurden eine Organisation wie die PKK unterstützen können, sagt er.
Das sind eindeutige Äußerungen und Annäherungsweisen, die aus der überheblichen bzw. herrschenden Sichtweise resultieren.
Erdoğan versucht mit Krieg die Errungenschaften des kurdischen Volkes rückgängig zu machen, um stellvertretend für die Kurden deren Zukunft zu bestimmen. Um auch in ihrem Namen eine Verfassung zu konstituieren, um sie erneut ohne Gewährleistung ihrer kollektiven Rechte zu entrechten, zu unterdrücken und auszubeuten. Er träumt von einem kurdischen Volk, ihm total unterwürfig und seine Macht ohne Wenn und Aber akzeptierend. Erdoğan wünscht sich Kurden, die die Kolonialisierung verinnerlicht haben, versklavte Kurden.
Demokratische Öffnung oder neokoloniale Politik?
Sein militärisches Vorhaben von drei unterschiedlichen Fronten gegen die Guerilla scheint vorerst gescheitert. Folglich ist der erhoffte militärische Erfolg ausgeblieben. Die türkische Syrienpolitik wie auch das Abkommen über die Stationierung des US-Raketenabwehrsystems in Malatya haben die türkisch-iranischen Widersprüche vertieft. Der Iran hat den Waffenstillstand der in Ostkurdistan/Iran agierenden Partei für ein freies Leben in Kurdistan (PJAK) positiv beantwortet. Die hochgepriesene Politik des führenden AKP-Strategen und Außenministers Ahmet Davutoğlu („null Probleme mit den Nachbarn") ist gescheitert. Auch die südkurdischen Parteien oder die Regionalregierung haben sich nicht aktiv an einer Militäroperation an der Seite der Türkei beteiligt. Vor diesem Hintergrund ist es eine offene Frage, ob die Türkei trotz dieser schlechten Voraussetzungen tatsächlich eine Bodenoffensive durchführen wird. Zwar wurde das parlamentarische Mandat für grenzüberschreitende Operationen in den Irak (Südkurdistan) gegen die Stimmen der Abgeordneten des „Blocks für Arbeit, Demokratie und Freiheit" vorerst um ein weiteres Jahr verlängert. Doch es dient als Trumpfkarte. Wenn sich die Gelegenheit bieten sollte, wird die Türkei davon Gebrauch machen wollen.
Das Ausbleiben des militärischen Erfolgs soll nun mit politischen Operationen korrigiert werden. Seit längerem über die türkischen Medien angekündigt, hat mit aller Härte eine neue Welle von sogenannten „KCK-Operationen" [s. a. Artikel S. 12] begonnen. Nach Angaben des Rechtsausschusses der BDP vom 6. Oktober sind seit dem 14. April 2009 (Datum des Beginns der KCK-Operationen) bis heute 7 748 Menschen fest-, davon 3 895 in Haft genommen worden. Allein in den letzten sechs Monaten beläuft sich die Zahl der Festgenommenen auf 4 148, die der Verhafteten auf 1 548.
Erdoğan hatte zuvor den Kreis der von den politischen Operationen potentiell Betroffenen erweitert, indem er die BDP-Wähler mit den Worten bedrohte: „Sie werden Rechenschaft ablegen müssen!" Neben BDPlern mit offiziellem Mandat wie Bürgermeistern und Abgeordneten sind Parteivertreter, -angestellte, -mitglieder und nun auch Parteiwähler Angriffsziele dieser Operationen. Die AKP-Regierung lässt nicht mehr per Verfassungsgerichtsurteil eine Partei schließen, sondern räumt ab.
Es ist auch kein Zufall, dass diese neue Verhaftungswelle genau zu dem Zeitpunkt einsetzte, als die Abgeordneten des „Blocks für Arbeit, Demokratie und Freiheit" am 1. Oktober ihren Parlamentsboykott beendet hatten und in die türkische Nationalversammlung zurückgekehrt waren.
Es hat sich herausgestellt, dass die AKP mit ihrer sogenannten „demokratischen Öffnung" nicht die politische Lösung der kurdischen Frage, sondern lediglich die Entwaffnung der kurdischen Befreiungsbewegung ohne weitere Lösungsperspektive anstrebt. Die Gespräche zwischen Vertretern einer Delegation des türkischen Staates und dem kurdischen Volksvertreter Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imralı sowie Gespräche mit hochrangigen Vertretern der kurdischen Befreiungsbewegung sind inzwischen keine Spekulation mehr. Auszüge daraus wurden im Internet veröffentlicht. Erdoğan hat eingeräumt, den Vertreter des Nationalen Geheimdienstes MIT selbst beauftragt zu haben. Die Frage, warum die AKP-Regierung die drei von Öcalan ausgearbeiteten Protokolle ignoriert, wartet dennoch auf Antwort. Wenn die AKP keinen Schritt in Richtung einer Lösung unternimmt, warum dann diese Gespräche? Genau an dieser Frage kann das eigentliche Interesse der AKP aufgedeckt werden. Sie führte die Gespräche, um – ohne Zugeständnisse an die Kurden – die Befreiungsbewegung zu entwaffnen, d. h. zu vernichten. Nachdem Abdullah Öcalan diese Absicht der AKP-Regierung publik gemacht und auf diese hinterhältige Politik reagiert hatte, wurde als Strafe seine Isolationshaft verschärft. Erdoğan glaubt mit dieser Politik das kurdische Volk erpressen und zur Kapitulation zwingen zu können. Hinter dem politischen Genozid steckt dieselbe Absicht. Erdoğan beansprucht für sich das Vertretungsrecht für das kurdische Volk. Daher kann dieser Krieg ohne Weiteres als Kolonialkrieg bezeichnet werden.
Was ist eigentlich so neu an der Kurdenpolitik der AKP-Regierung?
Das Ziel unterscheidet sich nicht von der bisherigen Vernichtungs- und Verleugnungspolitik der Türkei. Die vorherigen Regierungen wollten mit aller Gewalt den Kurden das Türkentum aufzwingen, um sie nicht als eigenständiges Volk anerkennen und ihnen ihre Rechte einräumen zu müssen. Die AKP gesteht zwar ein, dass diese Menschen kurdische Wurzeln haben, aber alle Bestrebungen, die sich daraus ergebenden Rechte in Anspruch zu nehmen, werden als Terrorismus denunziert und zu vernichten versucht.
In beiden Fällen sollte das geschichtliche Bewusstsein der Menschen zerstört werden. Die einen behaupteten, „es gibt kein Volk namens Kurden", während Erdoğan heute alle Errungenschaften des kurdischen Volkes zu vereinnahmen sucht und deren eigentliche Vorkämpfer zu Delinquenten erklärt in der Hoffnung, die Kurden gegen die eigene Bewegung und die eigenen Werte aufzubringen.
In beiden Fällen sollte der Vertretungsanspruch für die Kurden vereinnahmt werden. Was also ist neu an der Politik der AKP? Nur die Art und Weise, wie diese Politik umgesetzt wird, ist subtiler und gefährlicher geworden.
Gefährlicher, weil die AKP sich zum Staat und mit jedem Tag hin zum Größenwahn entwickelt.
Dieser Größenwahn wirkt sich auch auf die Außenpolitik aus. Der AKP-Staat verfolgt in der Region neo-osmanische Ziele. Er wird als Modellstaat für einen gemäßigten Islam vorgeführt und will seine hegemonialen Bestrebungen durchsetzen. Vor diesem Hintergrund ist das von der AKP verkündete außenpolitische Motto „null Probleme mit den Nachbarn" umgeschlagen in eine Drohgebärde. Erdoğan: „Syrien sehen wir als unsere innere Angelegenheit." Sowohl mit Drohungen gegen das syrische Regime als auch mit Unterstützung für dessen Kritiker (selbstverständlich antikurdisch ausgerichtete) versucht die Türkei aktiv in die Entwicklungen zu intervenieren. Auf der anderen Seite billigt sie die Stationierung des US-Raketenabwehrsystems in Malatya für imperiale Machtinteressen und bildet eine Bedrohung für die Region. Der Iran ist über die türkische Syrienpolitik sowie über das Raketenabwehrsystem sehr verärgert. Seine Vertreter äußern sich äußerst aggressiv gegenüber der Türkei. Die Krise mit Israel hält – allerdings nicht in dem Umfang, wie sie hochgepuscht wurde – ebenfalls an. Die neo-osmanischen Bestrebungen des AKP-Staates werden auch außenpolitisch weitere Widersprüche und Spannungen mit sich bringen. Diese Politik produziert Widerstand, polarisiert, vergrößert die Instabilität, schafft Ärger und Spannungen.
Der Ausgang dieses Krieges steht schon heute fest
Wie oft haben wir diesen Film gesehen. Der Wahnsinn besteht doch darin, bereits erprobte Methoden in Erwartung eines anderen Resultats immer wieder anzuwenden.
Diese Politik wird sicherlich nicht das vom AKP-Staat und seinen westlichen Verbündeten USA und EU erwartete Ergebnis einbringen: Die Kurden werden nicht davor einknicken. Sie werden ihre Errungenschaften nicht hergeben. Sie werden ihr Ziel des Friedens in Freiheit nicht aufgeben. Dafür haben sie einen zu hohen Preis bezahlt, sich dabei stark politisiert und organisiert.
Viel wahrscheinlicher ist, dass die Regierung, die diese Politik betreibt, daran selbst zerbrechen wird – wie die vorherigen alle auch. Um als politische Vertretung eines Volkes auf die Bühne treten zu können, bedarf es mehr als Wählerstimmen. Eine Zukunftsvision, ein großes Herz, Entschlossenheit und Mut und, viel wichtiger, Selbstlosigkeit.
Berlin sollte den AKP-Feldzug gegen Kurden nicht unterstützen
Im Krieg gegen die Kurden sucht die AKP dringend nach Unterstützung. Auf seiner jüngsten Deutschlandreise kritisierte der türkische Staatspräsident Abdullah Gül in tatsächlich übertriebener Form Berlin, nicht ausreichend gegen die PKK vorgegangen zu sein. Für Berlin war diese Kritik etwas beleidigend! Sofort antwortete Bundesinnenminister Friedrich mit Fakten. Demnach habe Deutschland auf Bundes- und Länderebene seit 1993 bislang insgesamt 53 Organisations- und Betätigungsverbote gegen „PKK-Strukturen" erlassen; 85 Funktionäre der mittleren und oberen Führungsebene seien zu Haftstrafen verurteilt worden. Man könnte meinen, der Minister habe Abdullah Gül sagen wollen, dass Deutschland in seiner PKK-Jagd keineswegs hinter der Türkei zurückstehe. Die Wut Güls, die für viele, so auch den Innenminister, unverständlich war, könnte als ein Hinweis darauf gesehen werden, dass er mit leeren Händen gegangen ist. Womöglich hatte Gül eine noch viel intensivere Hatz auf Kurden eingefordert. Was sollte denn Berlin noch tun? Seit dem 26. November 1993, dem Tag des Verbots der PKK, hat doch Deutschland sehr viel gemacht und trotzdem nichts erreicht im Kampf gegen die PKK. Mehr geht nicht!
Wie dem auch sei, der Wut Güls folgten Erdoğans Unterstellungen gegen in der Türkei arbeitende deutsche Stiftungen. Sie erschienen wie ein Racheakt. Aber auch wie eine Vorbereitung auf seine bevorstehende Berlin-Reise im November. Was Gül nicht geschafft hat, will Erdoğan über besagte Diffamierung erreichen. Hoffentlich ist Berlin endlich zur Vernunft gekommen. Und lassen Sie uns hoffen, dass es die alten Spielchen nicht wiederholt und Erdoğan vor seiner Deutschlandreise keine „Geschenke" – über Verhaftungen, Vereins- oder Wohnungsdurchsuchungen bei Kurden – macht.
Re: Wussten Sie, dass die AKP die Kurden vertritt? (Eine kurze Lageanalyse)
von Kudo21 am 30.11.2011 16:12Zagros
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Ist dein Bericht nicht von dieser Seite wo regelmäßig Berichte über Nordkurdistan verfasst werden ???
Zagros
Gelöschter Benutzer
Re: Wussten Sie, dass die AKP die Kurden vertritt? (Eine kurze Lageanalyse)
von Zagros am 30.11.2011 16:21jep