Eine kurdische Friedensmutter erzählt ihre Geschichte

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Eine kurdische Friedensmutter erzählt ihre Geschichte

von Azadiyakurdistan am 06.04.2011 20:41

Im Kurdischen werden sie »Geyriye Dogander« genannt – Friedensmütter. Sie gehören zu denen, die im über 30-jährigen Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Freiheitsbewegung größtes Leid erfahren haben.





Navala K. stammt aus einem Dorf in der Nähe von Lice in der osttürkischen Provinz Diyarbakir. Als türkisches Militär in den 80er Jahren ihr Dorf stürmte, wurde ihre Schwester auf offener Straße erschossen. Navala floh damals mit ihren drei Söhnen nach Diyarbakir, wie rund 300 000 weitere Kurden aus ländlichen Gebieten.

Karwen, ihr Ältester, wurde wie alle jungen Männer zum zweijährigen Militärdienst einberufen. Nach Hause zurückgekehrt, wurde er prompt verhaftet – wegen »Terrorismus«. »Er ist doch gerade erst vom Militär zurück – an der Seite von euch Türken«, hielt die Mutter den Polizisten entgegen, »wie soll er da Terrorist gewesen sein?«

Der Einwand half nichts: Karwen wurde tagelang in einer der berüchtigten Verhörzellen von Diyarbakir gefoltert, bevor er für mehrere Monate ins Gefängnis gesteckt wurde. Kaum entlassen, sah er sich einer neuen Anklage wegen Terrorismus ausgesetzt – diesmal drohten ihm 15 Jahre Haft. »Ich gehe nie wieder in ein Gefängnis, Mutter«, schwor Karwen und floh in die Berge zur kurdischen Guerillagruppe PKK. Seither hat Navala nichts mehr von ihm gehört.

Remzi, der zweite Sohn, studierte mit Hilfe der schmalen Familienersparnisse Ingenieurwesen. Doch er war gebrandmarkt: Bruder Karwen war ja bei den »Terroristen«. In der Türkei fand Remzi keine Anstellung, ins Ausland wollte er der Mutter wegen nicht. So entschied auch er sich, in die Berge zu gehen.

Nach sieben Jahren kehrten er und ein weiterer Guerillero in Begleitung eines kurdischen Anwalts zurück. Navala war gerade beim Arzt. Als sie nach Hause kam, konnte sie nur noch ihren toten Sohn betrauern: Militärs hatten das Haus gestürmt und die unbewaffneten Guerilleros durch Kopfschüsse getötet. »Er hatte keine Chance, sich auch nur zu erklären«, klagt die Mutter. Erst nach zähen Verhandlungen durfte sie die Leiche ihres Sohnes beerdigen. Nur sie und ein Schwager waren dabei. Freunde und andere Verwandte wurden durch die Polizei vom Friedhof ferngehalten. »Ich musste alleine trauern, doch mir fehlten die Tränen zum Weinen.«

Mert, den dritten Sohn, schleppten sie bei Nacht und Nebel auf eine Polizeiwache. Als man ihm dort Tee anbot, antwortete er: »Ich trinke euren Tee nicht, ihr habt meine Brüder getötet.« Drei Tage lang wurde er gefoltert, bevor man ihn freiließ – ohne Anklage. Er sah keinen anderen Weg als den in die Berge.

»Das ist kein Staat, sondern eine Gewaltherrschaft«, fasst Navala ihre Erfahrungen zusammen, »Sie sagen: ›Ein Staat, eine Fahne, ein Land‹. Doch die Fahne ist mit unserem Blut getränkt, denn wir haben an der Seite Atatürks dieses Land erkämpft. Aber Gott hat uns nun mal diese Sprache, das Kurdische, gegeben. Wir wollen doch nur Freiheit, Frieden und unsere eigene Sprache sprechen.«

Es ist ein sonniger Tag. Wir sitzen auf dem Rasen des Friedensparks von Diyarbakir. Derya, eine zweite Friedensmutter, ebenfalls um die 60, hat sich zu uns gesetzt. »Du bist aus Europa«, wendet sie sich an mich, »Ich möchte, dass ihr euch dort auch mit unserem Leid auseinandersetzt. Ihr redet über Ägypten, Libyen und Israel. Doch uns habt ihr seit 30 Jahren vergessen.«

Die kurdische Partei des Friedens und der Demokratie (BDP) hat im Park aus Anlass des kurdischen Neujahrsfestes Newroz ein Zelt aufgebaut, in dem Diskussionen stattfinden, Friedensmütter erzählen jungen Kurden ihre Lebensgeschichten.

Tage zuvor hat die Polizei am gleichen Ort eine Protestdemonstration mit Gasgranaten auseinandergetrieben. Immer noch ist die Situation in Diyarbakir gespannt. Tausende Kurden sitzen aus politischen Gründen in Gefängnissen. Die Arbeitslosigkeit in der durch die Landflucht übervölkerten Stadt liegt bei über 32 Prozent, viele Familien sind zerrissen, Kinder und Jugendliche, deren ältere Geschwister in Haft sind, flüchten sich in Gewalt und Drogen. Islamisten nutzen das Elend aus und werben mit Schulbildung und Essenausgaben. Viele ältere kurdische Aktivisten sehen die Zukunft in düsteren Farben.

Am Abend treffe ich die beiden Friedensmütter mit vielen ihrer Schicksalsgefährtinnen bei einer Demonstration wieder. Einige haben Fotos von Verstorbenen in der Hand. Nach wenigen hundert Metern wird der Zug von bewaffneten Polizeikräften aufgehalten. Die Protestierenden setzen sich auf die Straße und blockieren sie bis in die Nacht hinein. Feuer werden angezündet, es wird getanzt, für kurze Zeit erhellt ein Feuerwerk den Nachthimmel. Leid und Kummer haben den Frauen den Willen zum Protest nicht nehmen können. Darin mag auch ein Funke der Hoffnung für die Regionalwahlen im Sommer und den derzeitigen zivilen Aufstand in den kurdischen Gebieten glimmen.

Quelle...

Silav û Rêz
Azad

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