Der Unbeugsame

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Der Unbeugsame

von Azadiyakurdistan am 08.10.2010 21:55

Als in der Türkei das Militär putschte: Eine Begegnung mit Diyarbakirs erstem kurdischen Bürgermeister, Mehdi Zana, 30 Jahre nach dem großen Terror
Von Gerd Schumann



Auch dreißig Jahre danach erinnert er sich gut an jenen Tag in seinem Leben, der alles veränderte – »und ich werde mich immer daran erinnern«, sagt Mehdi Zana, der Kurde, der Geschichte schrieb. Vor kurzem kam er nach Berlin, trat auf einer Gedenkveranstaltung in der Dersim-Kulturgemeinde am Kreuzberger Waterloo-Ufer auf vor vollem Saal. Der Name des nun auch schon Siebzigjährigen besitzt Klang. Er wird bekannt bleiben. Mehdi Zana war nicht nur der erste kurdische Oberbürgermeister von »Kurdistans heimlicher Hauptstadt« Diyarbakir – 1977 aus dem Stand unter 14 Kandidaten gewählt. Er ist auch der Mann, der schriftlich Zeugnis ablegte von einem der vielen schwarzen Flecken in der Geschichte der »modernen Türkei«.

Er beschrieb das Ungeheuerliche, das kaum Faßbare, das sich nach dem 12. September 1980 abspielte hinter den Mauern der türkischen Gefängnisse, Polizeikommissariate und Militärstützpunkte. 650000 Menschen auf einen Schlag verhaftet, vor allem Linke, Kurden, Türken, Armenier, egal. 650000 in den Händen einer unberechenbaren Soldateska. Der Westen schwieg über die Verhältnisse, die in das NATO-Mitgliedsland am Bosporus einzogen, und die nun das Leben auf der vielgepriesenen Brücke zwischen Orient und Okzident bestimmten. Die als Vorreiterin westlich-zivilisatorischer Werte auf dem asiatischen Kontinent gefeierte »Republik Türkei« wurde zur offen brutalen Diktatur. Ihre sich als Hüterin von Frauenrechten und laizistischem Staat aufspielende Armee sorgte auf ihre Art für die »Rettung der Ordnung«.
Über Ostberliner Dächern
Jetzt sitzt der aus seinem schwedischen Exil in die deutsche Hauptstadt angereiste Zana in der Redaktion der jungen Welt, hoch über den Dächern Ostberlins, nahe dem Rosa-Luxemburg-Platz, der Volksbühne, dem Karl-Liebknecht-Haus. Traditionsort der deutschen Arbeiterbewegung, KPD-Zentrale bis 1933, vor der noch kurz vor dem Regierungsantritt der Nazis Zehntausende demonstrierten. Heute befindet sich hier der Parteivorstand der »Linken«.

Mehdi Zana, ein herzlicher, offener Mann mit markanter Nase und grau gewordenem Haar überlebte elf Jahre in verschiedenen türkischen Knästen, darunter die »Hölle Nummer fünf«, wie das inzwischen geschlossene Militärgefängnis von Diyarbakir im Volksmund genannt wurde. »Es war für 435 Leute ausgelegt. Offiziell hieß es dann, es habe 3200 Insassen, aber ich denke, daß dort etwa 3500 Menschen eingesperrt waren– unter erbärmlichsten Bedingungen.« Im Keller, den Abstellräumen, in jedmöglichem Winkel wurde Platz geschaffen für Menschen, Toiletten waren Provisorien, die Männer saßen Rücken an Rücken auf Löchern, es stank überall bestialisch. Doch das Schlimmste war der Terror, ein undurchschaubares System, berechenbar oder auch völlig willkürlich eingesetzt, ein ständiger, nichtendender Alptraum aus Angst und Schrecken.

»Über drei Monate hindurch drangen die uniformierten Schläger jede Nacht in die Zellen ein, pöbelten und prügelten und ließen uns kaum zum Schlafen kommen. Den Verheirateten unter uns verkündeten sie voller Wonne, daß sich gerade einige Offiziere und Generäle mit ihren Frauen vergnügten.« Beim »Hofgang« mußten die Gefangenen auf allen vieren kriechen, und die Wärter machten sich »einen Spaß daraus, mit Stiefelabsätzen nach unseren Köpfen zu treten. Wir waren im Nu schweißgebadet. Einzelne mußten aus der Reihe und sich bücken. Dann wurde ihnen aufs Gesäß geschlagen. Wer sich weigerte, wurde von einer Horde Wachleute in den Abwasserkanal getaucht. Über und über mit Kot beschmiert, wurde den Malträtierten die Hose heruntergerissen und der Schlagstock in den After gestoßen.« Wer irgendwie aufgefallen war, wurde »nackt ausgezogen und stundenlang in der Kälte an Stahlträgern aufgehängt«. In den Zellen wimmelte es von Ratten. »Nachts, wenn wir schliefen, liefen sie über Gesichter und Körper.« Flöhe gab es überall, doch »wir waren zu schwach, uns dazu aufzuraffen, sie zu töten«.

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