Der zwangsverheiratete Mann

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Der zwangsverheiratete Mann

von Azadiyakurdistan am 11.11.2010 20:33

Mit der Trennung von seiner Frau hat Sinan Kemal* ein Tabu gebrochen: Seine streng gläubige Familie hat ihn deshalb verstoßen, will seitdem nichts mehr von ihm wissen. Denn: Die Familie war es, die ihn als 18-Jährigen mit dieser Frau verheiratet hatte. Mit einer Frau, die er damals kaum kannte, die er nicht liebte und mit der er es am Ende einfach nicht mehr aushielt. Doch mit der Trennung von ihr hat Sinan Kemal die Ehre der Familie verletzt. Er gilt nun als Verräter.


Es geht darum zu funktionieren
"Wäre ich eine Frau, so wäre ich vielleicht schon tot", sagt der 31-Jährige im Gespräch mit stern TV. Frauen aus traditionellen Familien könnten sich einen solchen Schritt nicht erlauben - da ist er sich sicher.

Sinan Kemal wurde 1978 als Sohn kurdischer Eltern in der Nähe von Hannover geboren. Die Familie lebte bereits seit den 1960er Jahren in Deutschland, die Eltern gingen beide arbeiten, sprachen fließend deutsch. Doch der Schein der gut integrierten Einwandererfamilie trügte: Hinter der Fassade lebte die achtköpfige Familie ein Leben, das von Religion und strengen Traditionen bestimmt war.

Die Kemals sind jesidische Kurden, eine religiöse Minderheit mit strengen Bräuchen. Wichtig ist im Jesidentum vor allem die Familienehre. Und so wurde auch Sinan erzogen: Gute Noten in der Schule waren nicht wichtig. Auch auf eine Ausbildung legten seine Eltern keinen Wert. Es ging vor allem darum, dass die Kinder keine Schande über die Familie bringen. Deutsche Freunde waren daher nicht erlaubt. Und: Geheiratet wurde nur innerhalb der Glaubensgemeinschaft.

Mit 18 zwangsverheiratet
Als Jugendlicher stellte Sinan all das nicht in Frage. Im Gegenteil: Er sorgte als Bruder sogar aktiv dafür, dass seine Schwestern sich an die strengen Regeln des Vaters hielten. Er habe sie geschlagen, wenn sie zu spät nach Hause kamen. Und er hätte nicht einmal vor dem Ehrenmord zurückgeschreckt, wenn es der Vater verlangt hätte, sagt Sinan rückblickend.

Doch dann kam der Moment, als Sinan selbst verheiratet werden sollte - mit gerade einmal 18 Jahren. In Syrien ging die Familie auf Brautschau, denn dort gibt es viele jesidische Kurden. Sie seien von Dorf zu Dorf gezogen, "wo die jungen Mädchen wie Vieh in einer Reihe standen und begutachtet wurden", beschreibt Sinan die Situation von damals. Für ihn sei das ein Schock gewesen. Aber wehren konnte er sich nicht. Er ließ es einfach geschehen.

Eine Braut für 70.000 D-Mark
Die Wahl fiel am Ende auf eine junge Kurdin, die einen Dialekt sprach, den Sinan kaum verstand. Aber: "Mir war inzwischen alles egal und dann hab ich mich der Wahl meines Vaters gefügt", sagt Sinan. Beim gemeinsamen Essen verhandelten die Familienoberhäupter den Brautpreis. 70.000 D-Mark zahlte Sinans Vater schließlich für die unberührte Braut aus Syrien.

Zurück in Deutschland folgte dann schnell die Hochzeit - für Sinan einer der dunkelsten Tage seines Lebens: Das Paar redete kaum miteinander, tat einfach nur das, was die Familie von ihnen erwartete. "Wir waren wie Hund und Katze, haben uns überhaupt nicht verstanden", erzählt Sinan.

Trotzdem blieb das Paar sieben Jahre zusammen, bekam sogar schnell drei Kinder - denn auch das erwarteten die Eltern: Nachwuchs ist in jesidischen Familien Pflicht. Und für Sinan waren "die Kinder das einzige Glück. Nur wegen ihnen hab ich das solange ausgehalten." Die Ehe selbst wurde für ihn zur Qual, machte ihn sogar krank: Sinan bekam Depressionen, nahm 35 Kilo zu.

"Endlich selbst entscheiden"
Doch im Jahr 2005 kam es schließlich zur Trennung - und Sinan Kemal schaffte den Schritt in ein neues Leben: Seit fünf Jahren ist er nun schon mit einer deutschen Frau zusammen, hat mit ihr einen gemeinsamen Sohn. Sinan Kemal fühlt sich befreit: "Ich lebe endlich mein Leben, kann endlich selbst entscheiden und das ist wunderbar“, sagt er - obwohl er genau weiß, dass die Hochzeit mit einer deutschen Christin als Schande gilt.

"Ich hätte offiziell, nebenher eine Freundin haben können, das wäre eher akzeptiert worden als die Trennung", sagt Sinan. "Ich kenne viele, die so leben. Aber das wollte ich nicht, ich wollte ein ehrliches Leben", sagt er - und fügt hinzu: "Ich habe heute erst kapiert, dass meinen Eltern mein Wohl und mein Glück eigentlich egal war. Wichtig sind allein die Traditionen. Dass man in der Spur läuft, das zählt."

So wie Sinan geht es auch anderen Männern, die von ihren Familie verheiratet werden. Statistiken oder offizielle Untersuchungen gibt es zwar keine. Doch Sinan weiß, dass er kein Einzellfall ist. "Das geht vielen so", sagt er. Doch öffentlich dazu bekennen würde sich eben niemand. Für einen Mann sei das zu peinlich.

stern.tv

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