"Die Armee braucht die Angriffe der PKK"
[ Nach unten | Zum letzten Beitrag | Thema abonnieren | Neueste Beiträge zuerst ]
"Die Armee braucht die Angriffe der PKK"
von Kudo21 am 20.09.2010 18:3608. September 2010, 16:27
IDRIS BAL (42) ist Politikwissenschaftler und Professor für Internationale Beziehungen an der Nationalen Polizeiakademie und der Atilim-Universität in Ankara. Er publiziert vor allem zu Sicherheitsfragen und den US-türkischen Beziehungen. Die türkische Polizei wird mittlerweile mehrheitlich dem Einfluss der regierenden AKP zugerechnet.
Gruppen innerhalb der türkischen Armee arbeiten offenbar mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zusammen, glaubt der Polizei-Dozent Idris Bal
STANDARD: Die PKK hat für viele unerwartet eine Waffenruhe für die Zeit der Kampagne um die Verfassungsänderung in der Türkei verkündet. Am 20. September soll sie enden. Gleichzeitig ist bekannt geworden, dass zumindest der Geheimdienst mit dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan Gespräche geführt hat. Welchen Reim machen Sie sich darauf?
Bal: Die PKK besteht heute aus verschiedenen Gruppen. Die eine glaubt nur an militärische Gewalt zur Erreichung ihrer Ziele, die im übrigen unklar sind. Ein unabhängiges Kurdistan? Die Etablierung einer demokratischen Türkei? Wir wissen eigentlich nicht, was sie wollen. Eine zweite Gruppe glaubt, terroristische Angriffe sind notwendig, können aber gestoppt werden, wenn der Staat die Tür zu Verhandlungen öffnet. Es gibt Debatten, Widerstreit innerhalb der PKK. Bei der dritten Gruppe handelt es sich nicht wirklich um militante PKK-Kämpfer. Sie vertreten verschiedene illegale Gruppen in der Türkei wie zum Beispiel "Ergenekon" oder Drogenhändler, ausländische Sicherheitsdienste. Sie alle benutzen die PKK nur für ihre eigenen Zwecke.
STANDARD: Wie kommen Sie zu solchen Folgerungen?
Bal: Gehen Sie logisch vor. Überlegen Sie, warum die PKK auch noch nach 30 Jahren Kampf da ist. Betrachten Sie zum Beispiel die Haltung der (Kurdenpartei, Anm.) BDP zum Verfassungsreferendum. Erst war sie dagegen, dann zeigte sie sich offen für Verhandlungen, dann rief sie am Ende zum Boykott auf, weder ja noch nein.
STANDARD: Welchen Einfluss hat Öcalan auf die PKK?
Bal: Für einen Gefangenen ist es schwierig, alle taktischen Entscheidungen und Operationen der PKK zu kontrollieren. Aber zwischen Öcalan und der PKK gibt es natürlich nach wie vor Verbindungen. Ich glaube, die PKK benutzt Öcalan als Symbol und als bevorzugtes Kommunikationsmittel, um Ankündigungen zu machen. Dann wiederum muss man Öcalans Position sehen: Er ist jetzt seit mehr als zehn Jahren in Haft, er will einen Ausweg für die Terrororganisation ebenso wie für sich selbst - er will raus aus dem Gefängnis. Auch deshalb gibt er Erklärungen ab, etwa wie jene, dass die Kurden über die Verfassungsänderungen diskutieren sollten.
STANDARD: In den türkischen Medien kursieren nun immer wieder Theorien, dass Gruppen innerhalb der Armee gemeinsame Sache mit Teilen der PKK machen. Was halten Sie davon?
Bal: Da gibt es große Fragezeichen. Der Vorwurf lautet, die Armee habe bei Angriffen der PKK auf militärische Außenposten in einigen Fällen absichtlich nicht ihre eigenen Soldaten verteidigt. In den Medienberichten, die Sie erwähnen, gibt es ja etwa Schilderungen, wo die Ambulanz früher am Schauplatz des Angriffs eintraf als die militärische Verstärkung, die die Armeekommandeure losschickten.
Dies sind alles bisher Behauptungen. Aber es ist klar, dass es Probleme innerhalb der Armee gibt. Der Eindruck, den man von Telefonmitschnitten zwischen hochrangigen Offizieren gewinnt, ist, dass sie die PKK schützen. Wir haben nicht ein Beispiel für diese angeblichen Verbindungen, sondern ein Dutzend. Das ist eine Folge der Demokratisierung in der Türkei. Wir haben heute Armeeangehörige, die an Menschenrechte und Demokratie glauben und sagen: Es reicht. Sie sind es, die Informationen an die Presse weitergeben. Wir wissen gleichwohl nicht, warum bestimmte Kreise in der Armee mit der PKK zusammenarbeiten sollten. Möglicherweise benutzen sie die PKK für den Drogen- oder Waffenhandel oder aber um die Innenpolitik zu manipulieren und Druck auf die Regierung auszuüben. Dafür brauchen sie die Angriffe der PKK.
STANDARD:Wie soll der türkische Staat das Problem mit der PKK lösen?
Bal: Das Problem Nummer 1 der Türkei ist nicht die PKK, sondern das Rechtssystem des Staates, das der Armee das Recht zur Einmischung gibt. Was wir heute in der Türkei sehen, ist die Rivalität zwischen denen, die an die Demokratie glauben, und denen, die an der Oligarchie festhalten wollen, an der Herrschaft einer Gruppe, nicht gewählt, nicht kontrolliert. Dieses Paket von Verfassungsänderungen, über das nun abgestimmt wird, ist nicht perfekt, aber es ist besser als gar nichts. (Langfassung eines in DER STANDARD, Printausgabe, 9.9.2010, erschienenen Interviews)
Quelle