Die Germanisten von Erbil

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Die Germanisten von Erbil

von Azadiyakurdistan am 01.07.2012 00:26

Der DAAD baut im Nordirak den ersten Deutsch-Studiengang Kurdistans auf. Die Erwartungen sind groß

Awesan hat sich ein ungewöhnliches Ziel gesetzt: Sie will Deutschlehrerin in Köln werden, obwohl sie noch nie in Deutschland war und von der Domstadt nur Fotos kennt. Warum gerade Köln, weiß sie selber nicht genau, aber eines weiß die junge Kurdin dafür umso besser: Sie liebt deutsche Literatur und Philosophie, hat Nietzsche, Kant, Marx, Goethe und Schiller in kurdischer Übersetzung gelesen. Ihr großer Wunsch ist es, die Klassiker auch im Original lesen zu können. Deswegen studiert Awesan Choschnau Madschmulidn seit Herbst 2011 Deutsch als Fremdsprache an der Hochschule von Erbil, der Hauptstadt der Kurdistan-Region im Nordirak. Sie und ihre 26 Kommilitonen sind damit die ersten Germanistikstudenten überhaupt in Kurdistan.

Es war ein gesellschaftliches Ereignis erster Güte in Erbil, als der Fachbereich im April eingeweiht wurde, in Anwesenheit zahlreicher deutscher Gäste. Gefördert wird das Projekt vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) in Kooperation mit dem Herder-Institut der Universität Leipzig, der größten Abteilung für Deutsch als Fremdsprache in der Bundesrepublik.

Der krisengeschüttelte Nordirak verbindet eine große Hoffnung mit dem neuen Zentrum für Germanistik. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland spielt eine wachsende Rolle in der Entwicklung der Region, der Bedarf an irakischen Kurden, die Deutsch sprechen und als Kulturvermittler auftreten können, steigt. »Es gibt viele deutsche Firmen hier«, sagt Ahmed Disaji, Präsident der Universität von Erbil, der die Einrichtung der Deutschabteilung vorangetrieben hat. »Es gibt auch viele kurdische Rückkehrer aus Deutschland, die gern wollen, dass ihre Kinder mit der deutschen Kultur in Verbindung bleiben.« Eine deutsche Schule gibt es auch schon, sie braucht mehr Deutschlehrer.

Isabell Mering, die Lektorin des DAAD in Erbil, ist zufrieden mit dem Verlauf des ersten Semesters. »Das Niveau unserer Studenten hat sich sehr stark verbessert«, sagt sie. »Am Anfang wussten viele nicht, wozu das Studium eigentlich gut ist. Aber ich habe nach Abschluss des ersten Buches gemerkt, dass die Motivation steigt.«

Isabell Mering hat Erfahrung im Nahen Osten, sie hat einige Jahre an der Deutsch-Jordanischen Hochschule in Jordaniens Hauptstadt Amman unterrichtet. In Erbil fühlt sie sich allerdings nicht ganz so wohl, obwohl es hier seit Jahren – im Gegensatz zum restlichen Irak – weder Anschläge noch Entführungen gegeben hat. Aber besonders für Frauen gilt die Stadt abends als unsicher, erst kürzlich ist eine Lehrerin der deutschen Schule überfallen worden. Abgesehen davon, ist das kulturelle Angebot in Erbil mager, sodass Mering die meiste Zeit zu Hause verbringt. Wenn sie könnte, würde sie sofort nach Jerusalem gehen, erzählt sie.

Dabei ist der Studiengang in Erbil in seiner Praxisorientierung tatsächlich etwas ganz Besonderes. In vielen alteingesessenen Germanistikabteilungen in der arabischen Welt – an der Cairo University in Ägypten etwa – ist das anders. Dort werden immer noch deutsche Curricula aus den sechziger und siebziger Jahren reproduziert, mit dem Ergebnis, dass die Absolventen am Ende zum Beispiel mittelhochdeutsche Literatur lesen können, aber auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance haben. »Wenn es gut läuft, werden sie noch Reiseführer und zeigen den Leuten die Pyramiden«, sagt Christian Hülshörster, Gruppenleiter Nordafrika, Naher und Mittlerer Osten beim DAAD. »Wenn es schlecht läuft, fahren sie Taxi. Das kann nicht sinnvoll sein.«

zeit.de

Silav û Rêz
Azad

Antworten Zuletzt bearbeitet am 01.07.2012 00:27.

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