Die Türkei steckt ihre besten Autoren ins Gefängnis
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Die Türkei steckt ihre besten Autoren ins Gefängnis
von Azadiyakurdistan am 10.05.2011 14:05Die türkische Bestsellerliste offenbart Schockierendes: Vier der zwanzig erfolgreichsten Autoren des Landes sind in Haft. Die Vorwürfe klingen absurd.
In der Mai-Nummer der türkischen Ausgabe von „Forbes“ erschien die Liste der erfolgreichsten türkischen Bücher und Schriftsteller auf dem türkischen Markt im Jahr 2010. Eine Liste wie jede andere Bestsellerliste, 20 Autoren, mit Angaben zur Auflage und was die Schriftsteller daran verdient haben.
Foto: dpa/DPA Star-Autor Orhan Pamuk zog sich wiederholt den Zorn der türkischen Staatsführung zu
Das Bemerkenswerte ist, was dort nicht steht. Vier dieser Autoren sind in Haft, teilweise seit Jahren. Ein fünfter, Ahmet Sik, ist auch im Gefängnis und nur deswegen nicht ganz oben auf der Bestsellerliste, weil sein Buch „Die Armee des Imam“ verboten wurde, noch bevor es gedruckt werden konnte.
Und dann ist da der Nobelpreisträger Orhan Pamuk (8. Platz auf der Liste der Bestverdiener, 53.000 verkaufte Bücher, Honorare umgerechnet rund 150.000 Euro), zu einer Geldstrafe verurteilt wegen „Beleidigung des Türkentums“. Er hatte in einem Interview erwähnt, dass Türken eine Million Armenier und 40.000 Kurden umgebracht haben.
Wer schreibt, lebt gefährlich
Wer schreibt, der hat in der Türkei schon immer gefährlich gelebt. Aber die Art der Gefahr scheint sich zu ändern. Pamuk war noch ein Opfer der alten Zeit. Bis vor einigen Jahren wurde man angeklagt, wenn man etwas zugunsten von Kurden oder Armeniern schrieb oder die Armee und Staatsgründer Atatürk kritisierte („beleidigte“).
Aber keiner der vier inhaftierten Autoren passt in diese Kategorie. Sie sind angeklagt, Agenten des Ancien Regimes zu sein, „Terroristen“ der alten kemalistischen Eliten. Ihnen wird vorgeworfen, sie gehörten einer „Organisation“ namens „Ergenekon“ an und wollten die islamisch orientierte Regierung stürzen.
Ein anderer, krasser, Fall ist der Autor Ergün Poyraz: „Poyraz wäre auch in Deutschland im Gefängnis, er ist ein verdammter Antisemit“, sagt Adnan Tonguc, ein liberal eingestellter Buchübersetzer. Poyraz (Platz 13, 75.000 verkaufte Bücher, Honorare ca. 80.000 Euro) hat wüste Hass-Traktate gegen Juden und Christen veröffentlicht.
Sein Buch „Takunyali Führer“, zeigt auf dem Cover den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Nazi-Uniform. In gleich zwei Büchern behauptet Poyraz, Erdogan und seine Frau Emine seien verkappte Juden.
Schlagabtausch zwischen USA und Türkei
Im Gegensatz dazu gilt Mustafa Balbay (Platz 15, 82.000 verkaufte Bücher, ca. 75.000 Euro) als Anhänger der säkularen Republik und als einflussreicher Schreiber – aber Hetze sind seine Bücher nicht. Er wurde verhaftet, weil auf seinem Computer Einträge gefunden wurden, die angeblich belegen, dass er aktiv an Umsturzplänen beteiligt war. Viele Journalisten in der Türkei meinen, dass er Opfer eine Kampagne gegen Kritiker der Regierung ist.
Aber beim Bestseller schlechthin, Hanefi Avci, sowie den ebenfalls inhaftierten Ahmet Sik und Nedim Sener klingt die Anklage, sie hätten etwas mit „Ergenekon“ zu tun, eigentlich absurd. Alle drei haben aktiv gegen den Staat der Kemalisten gerungen, Avci sogar als regionaler Polizeichef. Sik und Sener veröffentlichten Enthüllungen über Coup-Pläne der Militärs.
Alle drei haben aber nun Bücher geschrieben, in denen sie behaupten, dass ein neuer, diesmal islamisch gesinnter „tiefer Staat“ entsteht, gelenkt von Glaubensgemeinschaften wie der Gülen-Sekte. Avci (Bestverdiener an Platz 1, 572.000 verkaufte Bücher, Honorare ca. 640.000 EUR) schrieb über die Herrschaft der Gülenisten innerhalb der Sicherheitskräfte, Sik (Keine Honorare, weil verboten – aber weit über 100.000 Downloads) und Sener (Platz 20, 48.000 verkaufte Bücher, ca. 50.000 Euro) griffen dasselbe Thema auf.
Inzwischen hat es wegen dieser Entwicklungen einen offenen Schlagabtausch zwischen Ankara und der US-Regierung gegeben. Auch der Europarat befasst sich mit dem Vorwurf, in der Türkei sei die Meinungsfreiheit zunehmend in Gefahr. Ministerpräsident Erdogan hat den Rat eingeladen, eine Delegation zu entsenden, um Fakten zu sammeln.
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