"Diese Revolution ist neu"
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"Diese Revolution ist neu"
von Azadiyakurdistan am 24.05.2011 17:21Der deutsch-syrische Schriftsteller Rafik Schami über die Umbrüche in der arabischen Welt. Fast 500 Schriftsteller und andere Kulturschaffende in Europa haben bislang einen Solidaritätsaufruf für die syrische Opposition unterzeichnet.
Frankfurt. Fast 500 Schriftsteller und andere Kulturschaffende in Europa haben bislang einen Solidaritätsaufruf für die syrische Opposition unterzeichnet. Zu ihnen gehören der Verleger Michael Krüger, der Filmemacher Edgar Reitz sowie die Schriftsteller Feridun Zaimoglu, Sten Nadolny und – Rafik Schami.
In dem Aufruf heißt es: "Wir appellieren an die syrische Regierung, das Blutvergießen zu beenden und eine friedliche und demokratische Lösung des Konflikts herbeizuführen." Der Aufstand in seinem Heimatland Syrien hat den 1946 in Damaskus geborenen Schriftsteller Rafik Schami überrascht. Vom Westen verlangt er mehr Engagement für die Aufständischen in den arabischen Ländern. Schami floh 1970 aus Syrien und lebt heute in Marnheim in der Pfalz. Zu seinen erfolgreichsten Werken zählen die Romane "Das Geheimnis des Kalligraphen" und "Die dunkle Seite der Liebe". Marc Strehler sprach mit ihm.
Herr Schami, wie informieren Sie sich über die Lage in Syrien?
RAFIK SCHAMI: Fast stündlich. Heute ist es keine große Kunst mehr, direkt von einer Demonstration mit Handy, Youtube, Internet oder Facebook genau zu wissen, was passiert ist. Das ist übrigens das, was den arabischen Regimen das Leben schwer macht. Sie können nicht ewig morden und entführen, ohne dass die Weltöffentlichkeit das erfährt.
Mit welchen Gefühlen beobachten Sie die politische Entwicklung dort?
SCHAMI: Die Revolutionen in Arabien haben die Welt überrascht. Sie sind etwas ganz Neues in der Menschheitsgeschichte. Die Zivilbevölkerung geht friedlich auf die Straße und führt einen friedlichen Aufstand gegen die ganze Gewaltmaschine der Diktatur, die nicht davor zurückschreckt, auf Kinder und alte Menschen mit Panzern und Scharfschützen zu schießen. Für mich kam das alles sehr überraschend. Ich habe gedacht, die Syrer machen nichts mehr gegen diese starke Diktatur, die auch vom Westen und Israel erwünscht ist.
Würden Sie sich ein stärkeres Engagement des Westens wünschen?
SCHAMI: Der Westen hat bisher nur mit den Diktaturen gearbeitet und das Leid der Millionen Entrechteten übersehen. Nicht mal uns Intellektuellen und Schriftstellern im Exil hat man zugehört. Es funktionierte prima, das Erdöl so billig wie möglich zu bekommen, Waffen, das teuerste und verachtenswerteste Blech der Welt, zu verkaufen und dazu die Herrscher zu Polizisten für die Grenzen Europas zu degradieren, wie es Gaddafi für Berlusconi gespielt hat. Das ist vorbei.
Und was nun?
SCHAMI: Die westlichen Länder und China müssen selbst von dieser Revolution lernen, eine andere Beziehung zu diesen wichtigen Ländern aufzubauen. Sie müssen den Regimen zeigen, dass sie nicht länger zu den Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung schweigen. Sie müssen jetzt schon Kontakt zur Opposition aufnehmen. Sie müssen sie in ihren Hauptstädten empfangen und damit aufwerten. Auch die Medien im Westen sind so hintendran mit Informationen, dass ich den Eindruck habe, sie haben keine zuverlässigen Journalisten am Ort, sie verbreiten keine Informationen, sondern machen Politik. Sie setzen die Politik ihrer Regierungen fort. Das ist bei Gott nicht die Aufgabe einer demokratischen Presse.
Besteht die Gefahr, dass Islamisten die Revolution in Ihrem Heimatland missbrauchen? Dass wir bald eine islamistische Regierung in Syrien haben?
SCHAMI: Jede Revolution kann einen Rückschlag bekommen. Das auszuschließen wäre naiv, aber die Islamisten sind völlig gescheitert, und sie wissen das. Die Ziele der Revolution in Tunesien, Ägypten, Syrien, Libyen und dem Jemen sind Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit und damit Bestandteile der westlichen bürgerlichen Revolution. Kein Wort vom Kalifat, kein Wort von Scharia. Deshalb war Bin Laden längst tot, bevor die Amerikaner ihn erwischt haben. Sein Modell ist in Arabien zusammengebrochen. Die Kaida wird da und dort noch Anschläge machen, aber die Völker haben historisch gegen sie entschieden. Sie haben friedlich ihre Herrscher gestürzt.
Und konkret in Syrien?
SCHAMI: In Syrien haben die Islamisten keine Chance. Syrien ist eine offene Gesellschaft, in der viele sehr aktive Minderheiten leben: Christen, Alewiten, Drusen, Kurden, Tscherkessen, Yeziden, Assyrer und so weiter. Auch breite Schichten der Sunniten sind mit Europa verbunden und wollen keine Rückkehr zum Kalifat. Der Ruf der Fundamentalisten ist in Syrien ruiniert, weil sie durch Bombenlegen und Mordanschläge in den 80er Jahren das Assad-Regime dazu ermuntert haben, zum Polizeistaat zu mutieren. Dazu sind sie Diener des saudischen Hauses, das in Syrien keinen guten Ruf hat.
Werden die Umbrüche im arabischen Raum auch in Ihr Werk einfließen?
SCHAMI: Sie haben das bereits gemacht. Zurzeit schreibe ich nicht, sondern höre und beobachte, was die Syrer erzählen. Sie, diese Tapferen, schreiben den besseren Roman. Ich lerne beim syrischen Volk.
fnp.de
Silav û Rêz
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