Friedensprozess in der Türkei: "Der Kampf der Kurden hat sich gelohnt"

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Friedensprozess in der Türkei: "Der Kampf der Kurden hat sich gelohnt"

von Azadiyakurdistan am 29.07.2013 17:14

Sie wollen Frieden schließen, die türkische Regierung und die kurdische PKK - nach 30 Jahren Bürgerkrieg. Die pro-kurdische Abgeordnete Sebahat Tuncel spricht im Interview mit der Zeitschrift "Zenith" über den Versöhnungsprozess mit der Regierung Erdogan und Öcalans Bedeutung für die Kurden.

Frage: Im März hat die PKK ein Waffenstillstandsangebot an die türkische Regierung veröffentlicht. War das schon der Beginn des Friedensprozesses im türkisch-kurdischen Konflikt?

Tuncel: In den vergangenen 30 Jahren hat die kurdische Bewegung mit Waffen um Rechte und Freiheit gekämpft. Aber die Umstände haben sich geändert, und wir haben uns nun vorgenommen, unsere Ziele demokratisch umzusetzen. Daraufhin wurde ein Waffenstillstand bekanntgegeben, und seit dem 8. Mai verlassen die Guerillas das Land. Bei den Gesprächen zwischen dem türkischen Staat und PKK-Chef Abdullah Öcalan entwarf man einen Drei-Stufen-Plan: Die erste Stufe ist natürlich die Beendigung der militärischen Auseinandersetzungen. Die zweite ist der Demokratisierungsprozess und die dritte der Normalisierungsprozess.
Frage: Und wo stehen wir zurzeit?

Tuncel: Die erste Stufe ist abgeschlossen - jedenfalls sind die Kurden ihren Verpflichtungen nachgekommen. Jetzt ist es an der Regierung, bestimmte Schritte zu unternehmen.

Frage: Was für Schritte wären das?

Tuncel: Eine grundgesetzliche Anerkennung der Rechte der Kurden - Meinungs- und Versammlungsfreiheit, das Recht, Vereinigungen zu bilden - und die Aufhebung der Verbote sowie der Anti-Terror-Gesetze. Das kurdische Volk muss das Recht bekommen, sich auf regionaler Ebene selbst zu verwalten. Das wäre die zweite Stufe. Bislang hat die Regierung aber nichts unternommen.

Frage: Mit anderen Worten: Der Friedensprozess fängt bereits schlecht an?

Tuncel: Wichtig ist, dass überhaupt ein Prozess in Gang gekommen ist. Es gab schon früher Versuche, mit der Türkei einen Dialog zu führen - leider sind alle gescheitert.

Frage: Der Kampf der PKK gegen das türkische Militär hat seit 1984 mehr als 40.000 Menschen das Leben gekostet. Hat sich der Krieg gelohnt.

Tuncel: Wenn Sie aus Sicht der kurdischen Bewegung auf die Region blicken, dann haben wir einiges erreicht. Im Nordirak gibt es ein autonomes irakisches Kurdistan, das sich selbst verwaltet. Auch das syrische Kurdistan hat sich entwickelt. Und in der Türkei führen die Kurden seit 30 Jahren eine Volksbewegung für Freiheit. Wir haben im Nahen Osten an Gewicht gewonnen.

Frage: Und das, obwohl es so viele Tote auf beiden Seiten gab? Wie bewerten Sie das?

Tuncel: Ja, natürlich - Krieg bedeutet leider auch, dass Menschen getötet werden, bedeutet Leid und Elend. Die Kurden haben bitter bezahlt. 40.000 Menschen haben ihr Leben verloren, fast 30.000 davon auf Seiten der Kurden. Aber das Wichtigste ist, dass der Friedensprozess begonnen hat. Wenn die Kurden dadurch ihre Freiheit bekommen, wird das erlittene Leid leichter wiegen, und die Hinterbliebenen werden sich vielleicht etwas besser fühlen. Von Frieden und Demokratie werden alle profitieren.

Frage: Abdullah Öcalan sitzt seit mehr als 14 Jahren im Gefängnis. Wissen Sie, wie es ihm geht?

Tuncel: Unsere Freunde waren bei ihm. Sie waren sehr bewegt, als sie zurückkamen, weil er - obwohl er nun schon so lange im Gefängnis sitzt - so stark ist.

Frage: Die regierende AKP von Premierminister Erdogan behauptet, der Friedensprozess sei ihr Verdienst - denn sie habe schon 2002 im Wahlprogramm geschrieben, dass sie das Kurdenproblem lösen möchte...

Tuncel: Das sehe ich anders. Öcalan war seit 1993 zu einem Dialog bereit; es gab jedoch keine Gesprächspartner auf der anderen Seite. Er hatte schon einen Friedensprozess im Sinn, als er noch in Freiheit war. 1999 wurde er ja in eine Falle gelockt, gefasst und in die Türkei gebracht.

Frage: Seitdem ist er in Haft. Wer ist eigentlich der Anführer der Kurden?

Tuncel: Aus meiner Sicht ist er der Führer des kurdischen Volkes - nicht nur der PKK. Er ist jemand, der von den Kurden in den vier Ländern des Nahen Ostens, aber auch in Europa wertgeschätzt und respektiert wird.

Frage: Allerdings wurde Öcalan - anders als beispielsweise Sie - nie gewählt...

Tuncel: Er wurde vielleicht nicht an der Urne gewählt. Gäbe es in der Türkei demokratische Rahmenbedingungen, stünden wir nun vielleicht an einem anderem Punkt. Das kurdische Volk hatte nie die Gelegenheit zu Wahlen. Wenn Öcalan frei wäre, würde er auch gewählt werden.

Frage: Können Sie verstehen, dass Menschen in der Türkei gegen die PKK sind?

Tuncel: Natürlich kann ich das verstehen. Aber: In der Türkei wurde das Kurdenproblem jahrelang mit einem Terrorproblem gleichgesetzt. Die Feindschaft wurde politisch geschürt - auf beiden Seiten. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass beide Seiten im Zuge des Friedensprozesses Verständnis füreinander aufbringen. Sie müssen sich ihrer eigenen Taten bewusst werden, und das Unrecht muss aufgearbeitet werden.

Frage: Was muss gesellschaftlich passieren, damit dieser Friedensprozess auch zu einem Frieden führt?

Tuncel: Am Ende dieses Prozesses müssen wir - Türken und Kurden - die Frage lösen, wie wir gemeinsam leben können. Die Gesellschaft muss lernen, sich der trennenden und populistischen Sprache zu enthalten. Auch in den Medien muss diese Spaltung ein Ende haben.

Frage: 2006 verurteilte man Sie wegen Verbindungen zur PKK; im Jahr darauf wurden Sie ins Parlament gewählt. Da Sie nun Immunität genießen, müssen Sie den Rest Ihrer Haft erst absitzen, wenn Sie nicht mehr Abgeordnete sind. Wie sind Ihre Verbindungen zur PKK?

Tuncel: Ich habe keine solchen Verbindungen. Aber sich in der Türkei für die Rechte der Kurden einzusetzen, bedeutet, "Terrorist" zu sein. Die Türkei ist sehr antidemokratisch. Zehntausende sind aufgrund der Anti-Terror-Gesetze verhaftet worden, auch Abgeordnete. Und wenn wir uns für unsere festgenommenen Freunde einsetzen, dann gilt das als "verschwörerische Vereinigung".

Frage: Ist die PKK denn eine terroristische Vereinigung?

Tuncel: Nein, auf keinen Fall. Ich würde sie eher als eine Bewegung beschreiben, die sich mit Waffen für die Rechte und die Freiheit des kurdischen Volkes einsetzt. Ich denke, es wäre besser, PKK-Mitglieder als Freiheitskämpfer zu bezeichnen.


Dieses Interview entstammt der aktuellen Ausgabe des Magazins "zenith" und wurde geführt von Özgür Uludag 

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