„Ich habe Angst vor Bürgerkrieg“
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„Ich habe Angst vor Bürgerkrieg“
von Azadiyakurdistan am 28.06.2012 01:24„Wir hatten 180 Olivenbäume, eigenes Wasser, der Garten war grün von April bis September. Wir hatten Schafe, und haben Käse und Joghurt gemacht." Abdo Marko zeigt ein Foto, helle Flachdachhäuser umrahmen einen Hügel. Ein kleines Paradies, ein syrisches Dorf, nah an der Grenze zur Türkei.
Von Monika Gerharz
Doch viele Häuser im Paradies stehen verlassen. Die Menschen hier sind zwischen alle Fronten des syrischen Aufstands gegen das Assadsystem geraten. „Wir sind Kurden – und wir sind Jesiden", sagt Abdo Marko, der mit seiner Frau und seinen sechs Kindern vor neun Jahren geflüchtet ist und jetzt in Saerbeck lebt. Das bedeutet für die Machthaber: Politisch verdächtig und religiös unzuverlässig. Das führt zu den absurdesten Verhältnissen.
„Mein Neffe ist im Bürgerkrieg am Arm angeschossen worden", berichtet Marko. Allerdings nicht, weil er als Jeside zu den Aufständischen gehört. Er leistet gerade zufällig seinen Militärdienst ab. „Die Soldaten haben keine Wahl. Wenn das Militär vorrückt, stehen die Wehrpflichtigen in der ersten Reihe, dahinter kommen die Elitetruppen", beschreibt der Kurde die Verhältnisse. Letztere hätten allen Grund, Assad die Treue zu halten. „Ein Lehrer verdient bei uns 200 Euro im Monat. Die verdienen 5000." Die Markos sind Jesiden, Angehörige einer kleinen kurdischen Religionsgemeinschaft. Seit den 90er Jahren leidet diese kleine Gruppe zunehmend unter Repressalien. Marko beispielsweise war beim Standesamt als Muslim eingetragen. Er klagte dagegen – und musste sich vom Richter anhören, dass ihm deshalb nach Schariarecht die Hand abgehackt werden könne. Außerdem war er politisch aktiv, kämpfte für ein föderales Syrien. Solche Leute wurden von der Assad-Clique systematisch in den wirtschaftlichen Ruin getrieben. „Wer nicht in der Baath-Partei war, hatte keine Chance. Assad ist ein arabischer Nazist."
Und doch – Marko unterstützt keineswegs aus vollem Herzen die Aufständischen in Syrien. „Vor beiden Seiten habe ich Angst", sagt er. Denn die Opposition sei sunnitisch-islamisch geprägt, die Muslimbrüder, die gegen das alewitisch-islamische System der Assadfamilie protestierten, spielten eine große Rolle. Marko fürchtet, dass es auch nach einem Sieg der Opposition schwer wird für kleine religiöse Gruppen, zumal die Yesiden auch unter den Kurden eine Minderheit sind. Und eben die Kurden spielten eine ganz eigene Rolle. Die Mehrheit halte sich abseits, Einzelne seien prominente Oppositionelle, der syrische Zweig der kurdischen Pkk geriere sich dagegen als Grenzpolizei in Assads Diensten.
Angesichts dieser explosiven Lage wünscht sich Marko dringend, dass die Weltgemeinschaft dafür sorgt, dass es nicht noch mehr Tote gibt. „Ich habe Angst, dass ein Bürgerkrieg kommt." Und Marko fürchtet für seine Familie. Zwei Brüder und eine Schwester leben in Syrien. „Wir haben Kontakt übers Internet", erzählt er. Die Schwester hatte in Libyen gelebt und war vor der Gewalt dort in die alte Heimat geflüchtet – um nun erneut von Leid und Tod eingeholt zu werden.
Schon jetzt sei die Bevölkerung in der Heimat den Schikanen der syrienhörigen Milizen der kurdischen Pkk ausgesetzt. „Die errichten Straßensperren, nehmen Leute fest. Die werden von Assad bezahlt." Trotz der düsteren Lage – Marko hofft darauf, dass er mit seiner Familie eines Tages in das kleine Paradies an der syrisch-türkischen Grenze zurück kehren kann. „Wir haben so viel gesprochen über Syrien, aber in Deutschland ist es auch schwer."
Neun Jahre hat die Familie um ihr Bleiberecht gekämpft. Erst seit kurzem darf Abdo Marko arbeiten. Noch immer gibt es für die Kinder als Unterstützung kaum Bargeld, sondern Einkaufsgutscheine. „Hier haben wir gar nichts", sagt Marko, und es klingt ein wenig bitter. „Hier sind wir auch in 1000 Jahren noch Ausländer."
Silav û Rêz
Azad