Libanon: Demokratisches Regieren wird ein heikler Balanceakt

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Kudo21
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Libanon: Demokratisches Regieren wird ein heikler Balanceakt

von Kudo21 am 22.01.2011 13:03

Demokratisches Regieren wird ein heikler Balanceakt


Der Libanon ist dem Irak in Teilen recht ähnlich. Mit Blick auf den Nachbarn kann Maliki vielleicht den Weg in eine stabilere Demokratie finden.



Nach dem Zusammenbruch der libanesischen Regierung kommen einem sofort die Bemühungen zum Aufbau eines stabilen Irak in den Sinn. Die beiden Länder haben sehr viel gemeinsam. Bei beiden handelt es sich um instabile Demokratien, wo jede politische Frage nicht nur eine heftige Debatte, sondern auch Gewaltandrohungen auslösen kann.


Zumindest im Vergleich zu ihren arabischen Nachbarländern herrscht in beiden Ländern relative Meinungsfreiheit und sowohl im Irak als auch im Libanon gibt es eine Vielzahl von politischen Parteien, die stets bereit sind, diese auch zu nutzen. Beide Länder sind mit einem größeren Manipulationsrisiko von außen konfrontiert als andere Länder in der Region.

Um die Einheit der Regierung ist es schlecht bestellt

Außerdem sind der Irak und der Libanon die ethnisch und religiös vielfältigsten Länder der arabischen Welt. Obwohl im Libanon seit Jahrzehnten keine verlässliche Volkszählung mehr durchgeführt wurde, schätzt man, dass sich die Bevölkerung aus 30 Prozent Sunniten, 30 Prozent Schiiten und 30 Prozent Christen zusammensetzt, wobei den verbleibenden Rest Drusen und andere Bevölkerungsgruppen bilden. Im Irak leben etwa 60 Prozent Schiiten, 20 Prozent sunnitische Araber und 20 Prozent Kurden, von denen die meisten sunnitischen Glaubens sind. In beiden Ländern beanspruchen die Vertreter aller dieser Gruppen substanziellen politischen Einfluss.

Aber ebenso wie sich der Libanon an saudische und syrische Vermittler wendet, um wieder eine Regierungskoalition aufzubauen, ist es auch um die Einheit der Regierung im Irak schlecht bestellt. In Zeiten wie diesen können die Ähnlichkeiten und Unterschiede der beiden Länder der irakischen Führung den Weg in eine stabilere demokratische Zukunft weisen.

Trotz des dieswöchigen Aufruhrs in Beirut verfügt der Libanon über einen Vorteil, den auch die Iraker anstreben sollten. Die persönlichen Freiheiten der Bürger des Libanon verleihen dem Land eine spezielle Belastbarkeit und die kulturelle Dynamik wird von jungen Menschen im gesamten Nahen Osten neidvoll betrachtet. Obwohl einige konservative Kleriker im Irak über beträchtlichen Einfluss verfügen, wird die gegenwärtige Führung des Landes allen Bestrebungen widerstehen, das Land zu einem gesellschaftlich repressiven und isolierten Staat zu machen. Wenn der Irak die klügsten Köpfe der nächsten Generation im Land behalten möchte, wird kulturelle Offenheit von entscheidender Bedeutung sein.

Zweitens wurde der Libanon diese Woche wieder daran erinnert, dass das Land nur mit einem gewissen Grad an Konsens zwischen den wichtigsten Gruppen regiert werden kann. Von noch größerer Bedeutung ist dieses Prinzip im Irak, wo die schiitische Mehrheit mit der ständigen Versuchung konfrontiert ist, die Sunniten für die Jahre der Repression unter Saddam Hussein zu bestrafen.

Keine religiöse Gruppe kann auf Kosten der anderen regieren

Im Libanon ist die Machtverteilung zwischen den Konfessionen in der Verfassung verankert. Präsident muss immer ein maronitischer Christ sein, ein Sunnit Premierminister und der Parlamentspräsident muss den Schiiten angehören. Dieses, die politische Zersplitterung festschreibende System bleibt weiterhin Gegenstand vieler Kontroversen, aber durch die Garantie, dass keine Gruppe auf Kosten der anderen regieren kann, wird auch eine gewisse Grundstabilität in einem Land gewährleistet, das auf stark ausgeprägten religiösen und ethnischen Bruchlinien aufgebaut ist. Ohne Unterstützung der Opposition kann die libanesische Regierung zwar nicht mehr tun, als die grundlegendsten Staatsgeschäfte führen, aber immerhin ist ein Rückfall in den Bürgerkrieg damit auch unwahrscheinlich.

Im Irak wird diese konfessionelle Machtverteilung weniger formell festgelegt bleiben und der Kompromiss wird vielen der gewählten Politiker des Landes auch nicht leicht fallen. In der Regierung sind alle wichtigen Gruppierungen vertreten. Der Kurde Dschalal Talabani bleibt im größtenteils repräsentativen irakischen Präsidentenamt. Osama Nujaifi, ein Sunnit, ist gewählter Parlamentspräsident. Aber die schiitischen Spitzenpolitiker werden die Unterstützung ihrer Wähler verlieren, wenn sie formal auf Kompetenzen verzichten, die ihnen unter Saddam jahrzehntelang verwehrt waren. Die Stabilität der Regierung wird weiterhin ein heikler Balanceakt bleiben.

Zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden

Premierminister Nuri al-Maliki wird die Beziehungen mit dem aufwieglerischen schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadr und dessen Anhänger gestalten müssen, die im südlichen Irak für Unruhe sorgen könnten, wenn sie sich nicht ausreichend berücksichtigt fühlen. Zudem erwarten die Kurden ein Vetorecht im Hinblick auf alle Anträge, die die kurdische Autonomie in den nördlichen Provinzen gefährden könnten.

Dann sind da noch die sunnitischen Araber. Es bleibt fraglich, ob Malikis Regierung von der Irakiyya unterstützt wird, jener multikonfessionellen politischen Koalition, der die meisten Sunniten ihre Stimme geben. Die Irakiyya gewann bei den Parlamentswahlen im März 2010 die meisten Sitze, doch ihr Vorsitzender, der ehemalige Premierminister Ayad Allawi, wird nicht in seinen alten Job zurückkehren. Er wird vielmehr den Nationalen Rat für Strategische Politik leiten, eine mit der Überwachung der inneren Sicherheit betrauten Institution, deren Befugnisse allerdings unklar sind.

Konflikt um die Beseitigung von Saddams Spuren

Ebenso wenig klar ist, ob Maliki schließlich den Prozess der Entbaathifizierung – eine weitere Ursache für Spannungen - zu Ende bringen wird. Viele Schiiten bestehen darauf, dass die letzten Spuren von Saddams Elite beseitigt werden müssen. Viele Sunniten allerdings argumentieren, dass dieser Prozess darauf ausgerichtet sei, sie von guten Jobs und politischem Einfluss fernzuhalten.

Wenn die Sunniten den Eindruck bekommen, dass Schiiten und Kurden beabsichtigen, sie als Bürger zweiter Klasse zu behandeln, werden sie keinen Beitrag zum Erfolg der Regierung Malikis leisten und könnten wieder versuchen, ihre politischen Interessen mit anderen Mitteln durchzusetzen und damit eine weitere Welle konfessioneller Gewalt auslösen. Noch schlimmer: Der Konflikt zwischen den Gruppen würde auch die Entwicklung einer irakischen Identität nach Saddam unterminieren. Andernfalls könnten die verschiedenen Interessensgruppen, wie die konkurrierenden Fraktionen im Libanon, sich an Außenstehende wenden, damit diese eine Lösung für ihre Probleme verhandeln.

Die Demokratie im Libanon erscheint oft wie ein entgleister Zug

Der Irak hat gute Gründe, das Beispiel des Libanon in dieser Hinsicht zu vermeiden. Selbst in den besten Zeiten wurstelt sich der Libanon mit einer politisch dysfunktionalen Regierung und einer Armee durch, die im Schatten einer großen, schiitisch dominierten militanten Organisation operiert. Mit Ausnahme des Iran möchte keiner der Nachbarn des Irak dieses Modell dort angesiedelt sehen. Die Demokratie im Libanon erscheint oft wie ein entgleister Zug und in den letzten Jahren ist das Land viele Male in einen bewaffneten Konflikt gestolpert.

Aber wenn es der Führung des Irak gelingt, kurzfristig ausreichend Stabilität herzustellen, um die Offenheit und den Unternehmergeist des Libanon mit den Einnahmen aus der Entwicklung der riesigen Ölreserven des Landes zu kombinieren – ein Vorteil, von dem die libanesische Führung träumen kann – in diesem Fall also, könnte der Irak eines Tages den Bürgern angrenzender Staaten etwas anbieten, was diese zuhause nicht vorfinden: ein hoffnungsvolles Zukunftsmodell.


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