"Menschen werden abgeschlachtet wie Schafe"

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"Menschen werden abgeschlachtet wie Schafe"

von Azadiyakurdistan am 05.08.2011 20:56



Beirut (RPO). Die blutigen Unruhen in Syrien fordern immer mehr Todesopfer. Als am Freitag landesweit Zehntausende gegen das Regime auf die Straße gingen, eröffneten Sicherheitskräfte der syrischen Regierung das Feuer auf die Demonstranten. Augenzeugen berichten von grausamen Szenen. Und trotz der offenkundigen Gewalt schaffte es der UN-Sicherheitsrat nicht, eine Resolution zu verabschieden. Vor allem China und Russland standen der Einigung entgegen – aus strategischen und wirtschaftlichen Interessen.


Mindestens vier Demonstranten seien in Arbeen, einem Vorort der Hauptstadt Damaskus, getötet worden, teilten der Menschenrechtsaktivist Mustafa Osso und die Örtlichen Koordinationskomitees mit, die die Proteste gegen das Regime dokumentieren.

Mindestens zehn weitere seien zudem in dem Vorort verletzt worden, sagte Osso. Aktivisten zufolge wurden auch drei Menschen in der Stadt Homs, im Zentrum Syriens, verletzt.

Die Proteste nach den Freitagsgebeten erstreckten sich nach Angaben von Aktivisten von Damaskus über die südliche Provinz Daraa bis Deir el Sur im Osten des Landes. Es seien auch Demonstrationen in der nördlichen Stadt Kamischli und Homs gemeldet worden, hieß es.

Unterdessen bombardierten syrische Truppen die Oppositionshochburg Hama, die seit sechs Tagen von Soldaten belagert wird. Die Panzerangriffe hätten gegen 4.00 Uhr morgens (Ortszeit) begonnen, sagte ein Bewohner. "Wenn Menschen verletzt werden, ist es fast unmöglich, sie ins Krankenhaus zu bringen", teilte er telefonisch mit. Die Stadt sei auch bei Sonnenuntergang am Donnerstag bombardiert worden, als Menschen ihr Fasten während des Ramadans unterbrachen.

Kleiner Junge von Panzer überrollt

Die 800.000 Einwohner zählende Stadt Hama war seit Juni größtenteils nicht mehr unter der Kontrolle der syrischen Regierung, als sich Einwohner vom Regime abwendeten und Straßen blockierten. Sicherheitskräfte der Regierung starteten aber Bewohnern zufolge unterstützt von Panzern und Scharfschützen eine Militäröffensive, die nach Angaben von Menschenrechtsgruppen seit Sonntag mindestens 100 Menschen das Leben kostete.


"Menschen werden abgeschlachtet wie Schafe während sie in der Straße laufen", sagte ein Bewohner am Donnerstag. Er habe gesehen, wie ein kleiner Junge, der Gemüse auf einem Motorrad transportiert habe, von einem Panzer überrollt wurde. Der Bewohner sagte, er habe Hama kurzzeitig über Seitenstraßen verlassen, um Lebensmittelvorräte hereinzuschmuggeln.

Seit Beginn des Vorgehens des Regimes von Präsident Baschar Assad gegen den Aufstand im März sind nach Angaben von Aktivisten mehr als 1700 Zivilpersonen ums Leben gekommen. Den internationalen Druck auf sein Regime infolge des blutigen Vorgehens gegen Demonstranten hat Assad größtenteils missachtet.

Wegen Mithilfe bei der brutalen Niederschlagung von Protesten durch das Regime froren die USA am Donnerstag Vermögenswerte des Geschäftsmannes Muhammad Hamsho sowie des Unternehmen Hamsho International Group ein, wie das US-Finanzministerium mitteilte.

Sicherheitsrat erwirkt keine Resolution

Der UN-Sicherheitsrat schafft es dennoch nicht, die Lage in einer Resolution zu verurteilen. Worauf sich das Gremium nach langem Gezerre einigen konnte, war eine präsidentielle Erklärung: Darin verurteilt der Sicherheitsrat unter anderem die Menschenrechtsverletzungen und die Gewaltanwendung gegen Zivilisten. Er bedauert die vielen Toten und zeigt sich besorgt angesichts der sich verschlechternden Lage in Syrien. Alle Beteiligten, also auch die Demonstranten, werden zu äußerster Zurückhaltung und zum Verzicht auf Vergeltungsmaßnahmen - etwa gegen staatliche Institutionen - aufgefordert.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle begrüßte die Erklärung: "Die internationale Gemeinschaft hat eine wichtige Botschaft an die syrische Regierung gesendet." Diplomatisch übersetzt dürfte das heißen: immerhin etwas. Denn angesichts der dramatischen Entwicklung wirken die Aussagen zahnlos.

Die Forderung nach einer Untersuchung der Vorgänge durch die UN fehlt, die Demonstranten werden ebenso angesprochen wie das Assad-Regime und vor allem: Eine präsidentielle Erklärung ist im Gegensatz zu einer Resolution nicht bindend, und sie kann nicht als Grundlage für die Androhung von Sanktionen genutzt werden. Eine entschlossenere Haltung des UN-Spitzengremiums haben vor allem Russland und China verhindert. Es geht ihnen um Einfluss, um strategische und - vor allem im Fall Russland - wirtschaftliche Interessen.

Russland versucht, wieder Fuß zu fassen

"Syrien ist Russlands wichtigster Partner in der Region", sagt Russland-Expertin Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Die Beziehungen der beiden Staaten waren wechselhaft. Zu Zeiten des Kalten Kriegs hatte die damalige Sowjetunion Syrien umfassend mit Waffen versorgt. Noch heute bilden T-72-Panzer und MIG-Kampfflugzeuge einen wichtigen Teil des syrischen Waffenarsenals. "Anfang der 90er Jahre zog sich Russland dann weitgehend aus der Region zurück. Erst seit etwa 2002 versucht Moskau, im Nahen Osten erneut Fuß zu fassen", erläutert Klein.

Streitpunkte zwischen den Regierungen waren neben der Israel-Politik lange Zeit vor allem Schulden in Höhe von 13,4 Milliarden US-Dollar, die Syrien bei Waffenkäufen in der früheren Sowjetunion aufgehäuft hatte. Den größten Teil dieser Schulden erließ Moskau den Syrern im Jahr 2005. "Russlands Politik in der Region und damit auch im Umgang mit Syrien hat mehrere Dimensionen", sagt Margarete Klein. "Geopolitisch will es als Großmacht wieder präsent sein. Ökonomisch hat es vor allem mit Blick auf seine Rüstungsindustrie Interesse daran, Geschäfte mit Syrien zu machen."

Zwar hat sich Moskau immer bemüht, das Gleichgewicht in der Region nicht zu stören und Syrien deshalb auch besonders hoch entwickelte Waffensysteme verweigert. Im Jahr 2007 aber hat Russland einen Vertrag über die Lieferung von 72 Überschallraketen vom Typ Jahont (eine Anti-Schiff-Lenkwaffe) unterschrieben. Die militärischen Interessen Russlands zeigen sich auch an der Marinebasis in Tartus am Mittelmeer. Klein: "Sie soll bis 2012 ausgebaut werden und wäre dann die einzige Militärbasis der Russen in der Region." Die dritte Dimension des russischen Handelns sieht die Wissenschaftlerin in grundsätzlichen politisch-strategischen Erwägungen: Moskau will der UN keine Möglichkeit geben, aus humanitären Gründen in souveränen Staaten zu intervenieren. "Solche Interventionen sieht Russland als geopolitisches Mittel, mit denen der Westen seinen Einfluss ausbauen könnte."

Staatliche Souveränität oberstes Gebot

An diesem Punkt sind sich Prinzipien, nach denen Russland und China handeln, sehr ähnlich. Die Volksrepublik ist im Nahen Osten eher schwach präsent. "Zwar ist China der wichtigste Handelspartner Syriens, umgekehrt spielt Syrien für China ökonomisch kaum eine Rolle," analysiert Pascal Abb vom Hamburger GIGA-Institut für Asienstudien. Nach seiner Einschätzung blockiert China eine entschlossenere UN-Haltung vor allem aus einem Grund: "Der Schutz staatlicher Souveränität hat für China oberste Priorität." Das Verhalten der Volksrepublik sei daher im Fall Syrien nicht taktisch begründet, sondern Folge einer konsistent verfolgen außenpolitischen Linie.

Für die Volksrepublik, die ja durchaus Erfahrungen mit dem Niederschlagen von Unruhen im eigenen Land durch das Militär hat, steht an dieser Stelle viel auf dem Spiel. Würde sie in solchen Fällen härtere Maßnahmen gegen andere Staaten unterstützen, könnte dies irgendwann auf China selbst zurückfallen.

Syriens Regierung dürfte über die von China und Russland geprägte Konstellation im UN-Sicherheitsrat froh sein. Dass die Zahl der bekennenden Freunde des Assad-Regimes schwindet, zeigt ein Blick auf die Homepage der staatlichen syrischen Nachrichtenagentur SANA. Ganz oben in der Nachrichtenleiste stand am Freitagmittag ein Hinweis auf internationale Unterstützung: "Kuba hat die Erklärung des UN-Sicherheitsrates zu Syrien am Freitag zurückgewiesen" lautet die Zeile.

Einen prominenter platzierten Hinweis auf politische Unterstützung von außen gab es auf der Seite nicht.
(rp-online.de)

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