PKK vs. Erdogan: Türkei droht neuer Krieg mit den Kurden
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PKK vs. Erdogan: Türkei droht neuer Krieg mit den Kurden
von Kudo21 am 17.04.2012 12:03
In den kurdischen Bergen der Türkei droht ein blutiges Frühjahr, Hungerstreiks und Misshandlungen in Gefängnissen machen die Lage explosiv. Syriens Despot Assad könnte den Konflikt weiter anfeuern - indem er die Kämpfer der PKK aufrüstet und so Rache nimmt für die Feindschaft der Erdogan-Regierung.
In den kurdischen Bergen in der Türkei, aber auch im Nordirak und Syrien droht erneut ein blutiges Frühjahr. Rechtzeitig zur Schneeschmelze sind die Spannungen zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Minderheit wieder so gestiegen, dass alle Beobachter damit rechnen, dass es auch 2012 zu heftigen Kämpfen kommen wird.
Aktueller Auslöser könnte ein Hungerstreik sein, der derzeit in Straßburg in seine kritische Phase geht. Seit dem 1. März und damit nun seit knapp 50 Tagen, führen 15 kurdische Intellektuelle vor dem Europarat in Straßburg einen Hungerstreik durch, mit dem sie erreichen wollen, dass der Europarat sich mit der Situation des inhaftierten Kurdenführers Abdullah Öcalan beschäftigt. "Wir haben seit fast acht Monaten keine authentischen Nachrichten von Öcalan mehr. Wir wissen nichts über seinen Gesundheitszustand. Das Militär unterbindet jeden Kontakt", sagte vor wenigen Tagen der Sprecher der Hungerstreikenden Fuat Kav. "Wir wollen, dass das Anti-Folter-Komitee des Europarats sich der Situation von Öcalan annimmt."Der Chef der kurdischen PKK-Guerilla, Abdullah Öcalan, wurde 1999 verhaftet und wird seitdem auf der Gefängnisinsel Imrali isoliert. Nach Auskunft seiner Anwälte wird ihnen wie auch den Angehörigen von Öcalan seit acht Monaten ein Besuch auf Imrali verwehrt. Viele Kurden sind deshalb sehr besorgt um ihren Volkshelden, der nach wie vor die wichtigste Figur für den ihren Befreiungskampf ist. Fuat Kav, ein Veteran unter den kurdischen Kämpfern, weiß aus Erfahrung früherer Hungerstreiks, dass die Situation für sie jetzt kritisch wird. "Ab 50 Tagen kann es schwere gesundheitliche Schäden geben. Die Öffentlichkeit muss jetzt reagieren", forderte er. Zwei der Hungerstreikenden wurden am Wochenende bereits ins Krankenhaus eingeliefert.
Prominente Unterstützung erhielten die Kurden von Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu. Der südafrikanische Erzbischof forderte den Generalsekretär des Europarats, Thorbjorn Jagland, auf, sich für die humanitären Anliegen der Kurden einzusetzen. Doch Jagland wehrte die Aufforderung Tutus ab. Während einer Pressekonferenz in Straßburg sagte er, die ganze Aktion sei "kontraproduktiv". Die Hungerstreikenden brächten ihr Leben in Gefahr und erschwerten gleichzeitig die Arbeit des Anti-Folterkomitees, weil es durch die Aktion "ungebührlich unter Druck gesetzt wird". Dadurch könne das Komitee seine Arbeit nicht tun.
Öcalan hat offenbar nur noch wenig Einfluss auf die PKK
Der Hungerstreik in Straßburg wird sicher bald auch eine größere Resonanz in der Türkei finden. Die völlige Isolation Öcalans, der zuvor einmal in der Woche von seinen Anwälten besucht werden durfte, hängt zusammen mit einem ersten Anlauf politischer Geheimverhandlungen zwischen dem Staat und der PKK, die im Herbst vergangenen Jahres spektakulär aufflogen: Da tauchte im Internet plötzlich ein Video auf, in dem der türkische Geheimdienstchef Hakan Fidan im Gespräch mit Abgesandten der PKK zu sehen war. Das Treffen fand in Oslo statt und war Teil einer ganzen Gesprächsserie, in der ausgehandelt werden sollte, unter welchen Bedingungen die PKK bereit wäre, die Waffen niederzulegen. Schon zuvor hatte Öcalan über seine Anwälte berichten lassen, der Geheimdienst habe auch mit ihm interessante Gespräche geführt, die positive Ergebnisse erbracht hätten.
Trotzdem hatte die PKK im Sommer vergangenen Jahres mit einer neuen Angriffsserie auf Militäreinrichtungen begonnen. Die meisten Kommentatoren schlossen daraus, dass Öcalan auf seine Truppen offenbar nur noch wenig Einfluss hat. Seine Anwälte werden nicht mehr auf die Insel gelassen, der Kontakt von Öcalan zur Bewegung ist damit abgebrochen.
Genauso widersprüchlich wie die kurdische Guerilla verhält sich allerdings auch die türkische Regierung. Während ein Teil den Dialog mit der PKK suchte, erhöhte ein anderer Teil den Druck auf die Kurden. Diese Zuckerbrot-und-Peitsche-Politik ist auch an den handelnden Personen erkennbar: Während der frühere Innenminister und heutige stellvertretende Ministerpräsident Basir Atalay für den Dialog zuständig ist, profiliert sich der aktuelle Innenminister Idris Naim Sahin als Scharfmacher. Seine Sondereinheiten der Anti-Terror-Polizei haben mittlerweile mehr als 4000 kurdische Kommunalpolitiker und Mitglieder kurdischer NGO verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, sie versuchten im kurdisch besiedelten Südosten des Landes eine autonome Parallelstruktur zum Staat aufzubauen.
Außerdem wurde bekannt, dass viele kurdische Jugendliche, die der Staat oft jahrelang ins Gefängnis steckt, obwohl sie lediglich bei Demonstrationen ein paar Steine geworfen hatten, im Knast regelmäßig von Erwachsenen missbraucht wurden. Weil die Opposition sich dieses Skandals annahm, musste die Regierung reagieren: Justizminister Sadullah Ergin veranlasste eine Untersuchung und entschied, die Jugendlichen aus dem Normalvollzug herauszunehmen und in ein Jugendgefängnis in Ankara unterzubringen. Das hinderte seinen Kollegen, Innenminister Sahin, allerdings nicht daran, ausgerechnet die beiden kurdischen Journalistinnen, die den ganzen Skandal aufgedeckt hatten, verhaften zu lassen. Vorwurf: Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Rächt sich Assad an Erdogan?
Ministerpräsident Tayyip Erdogan scheint sich derweil noch nicht entschieden zu haben, wie er gegenüber der kurdischen Minderheit von rund 15 Millionen Menschen weiter vorgehen will. Mal unterstützt er die Repressionen seines Innenministers, dann nimmt er wieder die Dialogfraktion um Ex-Regierungschef Basir Atalay und Geheimdienstchef Hakan Fidan in Schutz. Kürzlich sagte Erdogan, es wäre möglich, die legale kurdische Partei BDP als Partner für einen Neustart von Verhandlungen zu akzeptieren. Aber zuvor müsse sie erst einmal beweisen, dass sie unabhängig von der PKK sei. Dabei weiß natürlich jeder in der Türkei, dass die Partei eng mit der PKK verbunden ist und Gespräche mit ihr ja gerade deshalb sinnvoll sind. Hätten sie mit der PKK nichts zu tun, könnten sie die Guerilla kaum dazu bringen, die Waffen niederzulegen.
Je länger Erdogan mit einer Wiederaufnahme des Dialogs zögert, umso wahrscheinlicher wird die Neuauflage des Krieges. Denn für die militärisch geschwächte PKK wird die Situation im Nordirak immer prekärer: Die irakischen Kurden kooperieren zunehmend enger mit Ankara. Sie könnten bald wieder unter den Schutzschirm eines altbekannten Paten flüchten. Es gibt viele glaubhafte Gerüchte, dass das Assad-Regime in Damaskus die PKK derzeit wieder aufrüstet, um sich für die Unterstützung der syrischen Opposition durch die Türkei zu rächen. Damit würde die Türkei wieder in einer Situation wie vor bald 15 Jahren landen, als die Führung der PKK in Damaskus lebte und ihre Truppen in der Bekaa-Ebene im Libanon ausbildete.Quelle