Referendum über Verfassungsreform

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Tahli
Gelöschter Benutzer

Referendum über Verfassungsreform

von Tahli am 10.09.2010 16:50

[quote]Türkei: Referendum über Verfassungsreform (12.09.)
www.gfbv.de

Mögliche Verfassungsreform ignoriert Kurdenfrage – Regionale Selbstverwaltung für Südosten der Türkei gefordert


Als ersten Schritt zur Etablierung eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates begrüßt die Gesellschaft für bedrohte Völker International (GfbV) den von der türkischen Regierungspartei AKP vorgelegten Vorschlag für eine Reform der Verfassung der Türkei. Gleichzeitig bedauert die Menschenrechtsorganisation jedoch, dass die Kurdenfrage als zentrales Problem der Türkei darin nicht gelöst wird. "Immerhin kann mit der Verfassungsreform das autoritäre Erbe des Türkei-Gründers Kemal Atatürks, das soviel Leid über die nichttürkischen Volksgruppen gebracht hat, ein Stück weit bewältigt werden", sagt der Präsident der GfbV International, Tilman Zülch.

Der Menschenrechtler erinnert daran, dass unter Atatürk während des berüchtigten Bevölkerungsaustausches allein 1,2 Millionen ionische und thrakische Griechen aus dem Land gejagt wurden und in der Stadt Smyrna, dem heutigen Izmir, 100.000 Griechen und Armenier ihr Leben ließen. Atatürk hatte außerdem während seiner Alleinherrschaft drei kurdische Aufstände niedergeschlagen, bei denen Zehntausende Kurden getötet und mehrere hunderttausend Angehörige dieser Volksgruppe innerhalb der Türkei zwangsumgesiedelt wurden.

Der für den kommenden Sonntag zur Abstimmung gestellte Verfassungsvorschlag der AKP sieht unter anderem Paragraphen zur stärkeren demokratischen Kontrolle von Justiz und Militärführung vor. Bisher können Generäle, autoritäre kemalistische Parteien und Richter Menschen- und Bürgerrechte der Bevölkerung jederzeit außer Kraft setzen. Die Verfassungsreform wird deshalb auch von vielen Bürger- und Menschenrechtsbewegungen sowie von unabhängigen Journalisten in der Türkei begrüßt. Diese gehen allerdings davon aus, dass später weitere Reformschritte erfolgen müssen. Die bedeutendste Kurdenpartei BDP ruft jedoch zum Boykott des Referendums auf.

"Nur durch eine föderale Verfassung nach bundesdeutschem Vorbild oder die Schaffung regionaler Autonomien nach spanischem Modell könnte die Integration der 15 Millionen Kurden in der Türkei gelingen und die Verfolgung und Unterdrückung dieser und anderer Volksgruppen endlich beendet werden", erklärte Zülch. "Unsere Menschenrechtsorganisation weist noch einmal darauf hin, dass auch in der heutigen Türkei unter der Herrschaft Erdogans noch immer über 7.000 Kurden, darunter 3.000 Kinder und Jugendliche, als politische Gefangene inhaftiert sind, im Südosten des Landes, dem Hauptsiedlungsgebiet der Kurden, keine einzige kurdische Schule existieren darf, mehr als 3.876 von der Armee zerstörte kurdische Dörfer in Trümmern liegen und sogar türkische Intellektuelle wegen ihrer Publikationen zu kurdischen Themen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden." [/code]

Antworten Zuletzt bearbeitet am 10.09.2010 16:51.

Mezrecux
Gelöschter Benutzer

Re: Vor dem Referendum

von Mezrecux am 11.09.2010 23:48

Zum 30. Jahrestag des Militärputsches von 1980 ist die türkische Gesellschaft nicht nur in Sachen Verfassungsänderung tief gespalten


Diyarbakir am 5. September: 100000 Menschen kamen zur Kundgebung der BDP, die zum Boykott der Abstimmung aufruft

An diesem Sonntag entscheiden die Wähler in der Türkei zwischen »Juristokratie« und »Zivildiktatur«. Diesen Eindruck erwecken zumindest die führenden Politiker der islamisch-konservativen AKP-Regierung und der laizistisch-nationalistischen Opposition. Zum symbolträchtigen 30. Jahrestag des Militärputsches vom 12. September 1980, auf den die gültige autoritäre Verfassung zurückgeht, stellt die Regierung ihre bislang umfangreichste Verfassungsreform zur Abstimmung.

Das aus 26 Artikeln bestehende Paket beinhaltet eine Reihe auch von seinen Gegnern grundsätzlich befürworteten Reformen wie die Möglichkeit, Offiziere vor Zivilgerichte zu bringen, und das Recht auf Tarifverhandlungen für Beamte, nicht aber deren Streikrecht. Aufgrund von Verjährungsfristen lediglich symbolisch ist die Aufhebung eines Verfassungsartikels, der den Putschisten von 1980 Immunität zusichert.

Der Kern des nur komplett zur Abstimmung stehenden Reformpakets betrifft Änderungen, die den Einfluß des – von der AKP dominierten – Parlaments auf die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts und des Hohen Rates der Richter und Staatsanwälte stärken. Aus Sicht der AKP hat die Justiz das Militär als wichtigste Bastion des laizistischen Lagers ersetzt. So kassierten die obersten Gerichte regelmäßig Gesetze der Regierung und Urteile der bereits von islamischen Kräften unterwanderten Gerichte.

Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der kemalistischen Republikanischen Volkspartei CHP, deren Klientel im Staatsapparat um ihre Pfründe fürchtet, sieht in den Verfassungsänderungen eine »Politisierung der Justiz«. Wenn die Reform in Kraft trete, werde sich die Türkei schnell in ein autoritäres, von der AKP dominiertes System verwandeln, warnte Kilicdaroglu vor einer »Gesellschaft der Angst«. Für die CHP geht es auch darum, der seit acht Jahren allein regierenden AKP vor den Parlamentswahlen im nächsten Sommer eine Schlappe beizubringen.

Wer mit »Nein« stimme, sei ein Verteidiger des Putsches von 1980, beschuldigte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag im Fernsehsender NTV pauschal seine Kritiker. Unterstützung bekam er von der Europäischen Kommission, deren Generaldirektor für Erweiterung, Michael Leigh, die Verfassungsreform einen »Schritt in die richtige Richtung« nannte. Auch Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk, Popsängerin Sezen Aksu und die Industrie- und Handelsverbände werben für ein Ja, während der Vorsitzende des linken Gewerkschaftsbundes DISK, Suleyman Celebi, ebenso wie Vertreter der Aleviten die Nein-Kampagne unterstützen.

Zum Zünglein an der Wage könnten die Wähler in den kurdischen Landesteilen werden. Die dort dominante linke Partei für Frieden und Demokratie BDP hat zum Boykott des Referendums aufgerufen, weil sich die Regierung weigerte, substantielle Verbesserungen für die Kurden wie eine Senkung der Zehnprozenthürde bei Parlamentswahlen zur Abstimmung zu stellen. Die BDP verbindet die Boykottkampage mit der Propagierung ihres Projektes demokratischer Autonomie durch den Aufbau kurdischer Selbstverwaltungsstrukturen. Während Erdogan Ende voriger Woche in der kurdischen Metropole Diyarbakir geschützt von Tausenden Soldaten und Polizisten vor einigen zehntausend Anhängern für ein Ja warb, versammelte die BDP kurz darauf über 100000 Demonstranten auf ihrer zentralen Boykottkundgebung. Die Kurden würden niemals eine Verfassung akzeptieren, die ihre Existenz nicht anerkenne und ihre Rechte nicht garantiere, sprach sich die BDP-Vorsitzende Gülten Kisnak für eine neue, demokratische Verfassung aus. Wie die Zeitung Radikal am Mittwoch berichtete, hat der Hohe Wahlausschuß beschlossen, den Boykott des Referendums mit einer Geldstrafe von umgerechnet 11,40 Euro zu sanktionieren – für viele Menschen in den armen kurdischen Landesteilen eine empfindliche Strafe.

Quelle: taz.de

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Re: Referendum über Verfassungsreform

von Newroz_2010 am 11.09.2010 23:53

also ich wäre bereit die 11.40 € für jemanden zu bezahlen damit er "Nein" ankreuzt ;-)

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Re: Referendum über Verfassungsreform

von Azadiyakurdistan am 12.09.2010 02:07

Die Wahlen zu boykotieren ist auch ein demokratischer Weg genau wie mit "Ja" oder "Nein" zu stimmen.

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