Syriens neue Verfassung (Die Kurden werden noch nicht einmal erwähnt)

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Syriens neue Verfassung (Die Kurden werden noch nicht einmal erwähnt)

von Azadiyakurdistan am 24.02.2012 13:52

Weniger Einfluss für die regierende Baath-Partei und das Aus für den Sozialismus: Die Syrer sollen am Sonntag über eine neue Verfassung abstimmen. Doch die Reformen sind eine Mogelpackung. Sie sollen Diktator Assad noch mehr Macht sichern.



Der 26. Februar wird gewiss keine Wende in der seit einem Jahr andauernden Krise in Syrien einleiten. Von den 14 Millionen Einwohnern, die über die vom Präsidenten Baschar al-Assad verordnete Verfassungsreform entscheiden sollen, werden sich voraussichtlich nur die Anhänger des Regimes zu den Wahlurnen begeben.

Die Menschen in den zerbombten Hochburgen des Widerstandes in Hama, Homs, Idlib, Daraa und anderswo bekommen seit einem Jahr zu spüren, was der syrische Diktator unter Reformen versteht: Die Fortsetzung der brutalen Gewalt, Folter, Tod und Zerstörung. Oppositionelle verdienen nach Ansicht des Regimes erst gar nicht, nach ihrer Meinung gefragt zu werden. Die Verfassungsreform des Assad-Regimes wird also für die Syrer gewiss keine politische Wirkung haben. Im Gegenteil: Sie vertieft schon vor ihrer Durchführung die Spaltung des Landes. Der nationale Zusammenhalt ist bedroht. Die mit russischer Unterstützung vorgeschlagenen Neuerungen ändern nichts an der Substanz der jetzigen Verfassung, die 1973 per Dekret von Assads Vater, dem damaligen Diktator Hafis al-Assad erlassen wurde. Sie ist eine Mogelpackung und zielt darauf ab, das Gewissen der Freunde des Regimes zu beruhigen und die wegen des unvorstellbaren Ausmaßes seiner Brutalität gegenüber seinem eigenen Volk schockierte internationale Gemeinschaft zu täuschen.

Entmachtung einer machtlosen Partei

Wie sehen die Reformvorschläge im Einzelnen aus? Der Artikel 8 der jetzigen Verfassung zum Beispiel, der die führende Rolle der Baath-Partei im Staat und in der Gesellschaft vorschreibt, wird gestrichen. Dies erfüllt aber nur formell eine wichtige Forderung der Opposition. Doch sie hat in zweierlei Hinsicht keine Bedeutung.

Zum einen war die Baath-Partei zumindest seit Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ohnehin nie die herrschende Partei in Syrien. Die absolute Macht lag bis zu seinem Tod im Jahre 2000 in den Händen von Hafis al-Assad und wurde danach von seinem Sohn geerbt. Beide stützten sich auf ihre zahlreichen Sicherheitsorgane und Geheimdienste. Die Baath-Partei diente dabei als Feigenblatt für die Dynastie. Baschar al-Assad, der den Verzicht auf die führende Rolle der Baath-Partei als großes Zugeständnis gegenüber der Opposition zu verkaufen versucht, schreibt damit bloß die Rolle seiner machtlosen Partei auch formal fest.

Zum anderen bekommt nach der neuen Verfassungsreform der Staatspräsident, also Baschar al-Assad, außerordentliche Machtbefugnisse. Der Staatspräsident steht an der Spitze der Exekutive (Artikel 83) und ernennt den Ministerpräsidenten und die Minister (Artikel 97). Er kann das Parlament auflösen (Artikel 111) und die Mitglieder des Verfassungsgerichtes ernennen. Alle drei Staatsgewalten - die Legislative, die Exekutive und die Justiz - sollen praktisch nach Assads Verfassungsentwurf vom Staatspräsidenten ausgeübt werden. Darüber hinaus soll der Staatspräsident absolute Immunität genießen. Zur Verantwortung gezogen werden kann er nur im Falle des Hochverrats (Artikel 117).

Das Bekenntnis zum politischen Pluralismus und zur Pressefreiheit wird im Verfassungsentwurf mit vielen willkürlichen Bestimmungen erschwert. 50 Prozent der Parlamentsmitglieder sollen Arbeiter und Bauern sein (Artikel 60). Deshalb bekennt sich die neue Verfassung nur halbherzig und formell zu den demokratischen Grundprinzipien und garantiert den Bürgern nicht ihre elementarsten politischen Rechte.

In dem Verfassungsentwurf wird außerdem die nationale und religiöse Vielfalt Syriens nicht berücksichtigt. Im Gegenteil: Der arabische Charakter des syrischen Staates wird überbetont. Bevölkerungsgruppen wie die Kurden werden noch nicht einmal erwähnt. Die arabische Sprache wird zur offiziellen Sprache erklärt ( Artikel 4). Die neue Verfassung erkennt in Syrien schwammig nur eine kulturelle Vielfalt an. Die Forderungen der Kurden nach Gleichberechtigung mit den anderen Bürgern und Pflege ihrer Kultur und Sprache bleibt auf der Strecke. Dies bedeutet in der Praxis, dass die bisherige chauvinistische Politik des syrischen Regimes nicht verändert wird.

Fatale Folgen für das Zusammenleben der Syrer

Der Verfassungsentwurf steht außerdem im Widerspruch zu den Prinzipien der Weltlichkeit und Neutralität des Staates, denn die islamische Zugehörigkeit des Staatspräsidenten wird festgeschrieben. Darüber hinaus wird die islamische Scharia zu einer "Hauptquelle der Gesetzgebung" erklärt (Artikel 3). Damit werden die syrischen Christen benachteilig.

Eine Politisierung der religiösen Unterschiede nach dem libanesischen und irakischen Beispiel hat fatale Folgen für das Zusammenleben der Syrer und für den Bestand ihres Staates. Von einem Laizismus des syrischen Regimes kann dabei also nicht die Rede sein.

Das Familienrecht wird nach der Verfassungsreform den Religionsgemeinschaften überlassen. Damit bestimmen diese allein und unterschiedlich, wie in Syrien geheiratet, geerbt und geschieden wird. Ein weltliches, einheitliches und modernes Familienrecht und vor allem eine klare Trennung von Staat und Religion stehen nicht auf der Reformagenda des syrischen Diktators.Der Verfassungsentwurf bekennt sich auch nicht zum Prinzip der Gleichheit von Mann und Frau. Stattdessen wird im Artikel 23 um die Rolle der Frau derart herumgeredet, dass dieser Artikel selbst von den Islamisten leicht akzeptiert werden könnte.

Eine kleine positive Seite hat der Verfassungsentwurf aber doch: Er bricht 22 Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus endgültig mit dem Sozialismus. Die regimetreue Schicht, die etwa 60 bis 70 Prozent der syrischen Wirtschaft kontrolliert, kann sich darüber nur freuen. Für die Syrer aber, die unter dem Bombenhagel des Regimes leiden und von seinen Schergen getötet, vertrieben und geschunden werden, kommen Assads Reformen zu spät. Ihnen geht es nicht mehr um die Reformierung des Regimes, sondern um seinen Sturz. Die vorgesehene Farce des Verfassungsreferendums wird also ohne die große Mehrheit der Syrer stattfinden.

www.spiegel.de

Silav û Rêz
Azad

Antworten Zuletzt bearbeitet am 24.02.2012 13:58.

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