Theaterprojekt "München/Diyarbakir" Für türkische Bühnen zu heikel

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Kudo21
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Theaterprojekt "München/Diyarbakir" Für türkische Bühnen zu heikel

von Kudo21 am 02.12.2011 23:53

Aufführungen am 1., 3. und 4. Dezember jeweils um 20 Uhr im Werkraum der Münchner Kammerspiele.







"Am Ende weiß keiner, wovor er sich eigentlich fürchtet": Mit "München/Diyarbakir" wollte die Theatermacherin Christine Umpfenbach ein interkulturelles Stück über die Kurden-Problematik machen. Doch mit so massivem Widerstand von türkischer Seite hatte sie nicht gerechnet.


"Viereinhalb Jahre lang war mein Vater im Gefängnis", erzählt das 17-jährige Mädchen mit den langen braunen Locken. Dann klingt die Stimme des Vaters aus den Lautsprechern, berichtet davon, wie er vom Gefängnispersonal in Diyarbakir mit einem Holzknüppel verprügelt wurde, davon, wie seine Familie jede Nacht Besuch von der Polizei erhielt, davon, wie er keinen anderen Ausweg mehr sah, als mit seiner Frau und seiner jüngsten Tochter aus der Türkei zu fliehen - und Gülbahar, das Mädchen mit den Locken, in der Heimat zurückzulassen. Erst zweieinhalb Jahre später folgte sie ihren Eltern in die Bundesrepublik.Es ist eine Sehnsuchtsgeschichte, die im Werkraum der Münchner Kammerspiele auf die Bühne kommt: die Geschichte einer kurdischen Flüchtlingsfamilie, die aus politischen Gründen nicht mehr zu ihren anatolischen Verwandten zurückkehren kann. Zugleich ist es die Momentaufnahme eines zerrissenen Landes, in dem die größte ethnische Minderheit noch immer unterdrückt wird. Eben weil die Kurdenfrage in der Türkei nach wie vor ein Tabuthema ist, geriet das dokumentarische Theaterstück "München/Diyarbakir" zuletzt auch zu einer Chronik des Scheiterns. Eigentlich nämlich wollte Regisseurin Christine Umpfenbach ihr Stück als deutsch-türkisch-kurdische Co-Produktion nicht nur in München, sondern auch in Diyarbakir aufführen. Daraus ist nichts geworden.Christine Umpfenbach scheint abonniert auf Dokumentartheater zu sein, auf Stadt- und Migrationsgeschichten. Zwei Jahre lang leitete sie das Obdachlosentheater "RATTEN 07" an der Berliner Volksbühne, in Wismar lud sie zu einer Stadtrundfahrt mit Wende-Verlierern ein, und in München machte sie auf das Schicksal von Gastarbeitern aufmerksam, die man in den sechziger Jahren in einen Luftschutzbunker unter dem Münchner Hauptbahnhof verfrachtete.

 

Aus Diyarbakir geht keiner freiwillig

Es habe sie immer interessiert, Menschen auf die Bühne zu stellen, deren Geschichten in der Mehrheitsgesellschaft weitgehend unbekannt sind, sagt Umpfenbach. Eben deshalb wurde sie neugierig, als bei den Münchner Kammerspielen eine Kooperationsanfrage aus Diyarbakir eintraf. Die Millionenmetropole im Südosten der Türkei gilt als inoffizielle Hauptstadt der Kurden, als Hochburg der PKK. Menschen, die diese Stadt verlassen, tun dies in der Regel nicht freiwillig, nicht aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit, nicht aufgrund der großen Armut in der Region. Gewöhnlich sind diese Menschen keine Arbeitsmigranten, sondern politische Flüchtlinge. Das stellte Christine Umpfenbach fest, als sie nach Menschen aus Diyarbakir suchte, die in München leben. Und vielleicht hätte sie in dieser frühen Phase bereits ahnen können, dass ihr Theaterprojekt bald zu einem Politikum werden sollte. Spätestens während einer Recherchereise nach Diyarbakir im Juni dieses Jahres wurde ihr zumindest klar, dass sich die Arbeit schwieriger gestalten würde, als sie es erwartet hatte.

Auf einer Videoleinwand kann man sie beobachten, die gemeinsamen Arbeitsessen mit den Vertretern der staatlichen Theaterzentrale in Ankara und dem Leiter des Goethe-Instituts in Diyarbakir, der allen Beteiligten einschärfte, sie sollten ja nicht offen von Folter sprechen. Am Tisch sitzt auch jene ominöse Schauspielerin, deren Funktion Christine Umpfenbach bis zuletzt ein Rätsel blieb. War sie ein Spitzel der Regierung in Ankara?

Ein Spitzel war auch für die Verhaftung von Gülbahars Vaters verantwortlich: Dieser sei für die Kurdenpartei BDP tätig gewesen und damit ein "Feind des türkischen Staates". Die Familie eines solchen Mannes auf die Bühne zu stellen, das sei in der Türkei schlicht nicht möglich, hieß es aus der Staatstheater-Zentrale in Ankara. Immer wieder war Christine Umpfenbach erstaunt über den großen Einfluss der Regierung auf die türkische Theaterlandschaft. Im streng zentralistisch organisierten Staatstheaterbetrieb fungiere das Theater von Diyarbakir, an dem kein einziger Kurde beschäftigt ist, als "apolitisches Verlautbarungsorgan", so heißt es im Stück.

Ende Juli, als klar war, dass die künstlerische Reise auf vermintes Gelände führen würde, brach das türkische Staatstheater den Kontakt zu den Münchner Kammerspielen ab. Kurze Zeit trug sich Christine Umpfenbach mit dem Gedanken, das Projekt mit dem Stadttheater in Diyarbakir weiterzuführen, doch dieses gehört, wie auch der Bürgermeister der Stadt, der kurdischen BDP an, weshalb sich schließlich auch das Goethe-Institut zurückzog.

Ein Tabu schwebt über allem

Der offensichtlich zwischen allen ethnischen Stühlen klemmende Leiter des Goethe-Instituts in Diyarbakir möchte nicht namentlich genannt werden. Zwar hat man seinen Kopf aus den projizierten Fotos herausretuschiert, auf der Münchner Werkraumbühne tritt er dennoch in Erscheinung: in Form einer kleinen wächsernen Goethe-Puppe. Und Dramaturg Malte Jelden legt der Puppe jene Worte in den Mund, die der Institutsleiter ihm am Ende des Türkeibesuchs mit auf den Heimweg gab: "Am Ende weiß keiner mehr, wovor er sich eigentlich fürchtet. Aber alle fürchten sich. Es ist ein über allem schwebendes Tabu entstanden."

Kurze Zeit später begann auch er, sich zu fürchten. Die politische Lage in der Türkei verschärfte sich, in der Region nördlich von Diyarbakir, in der das Heimatdorf von Gülbahar liegt, griff die PKK einen Militärstützpunkt an, dreizehn Soldaten kamen ums Leben. Und Anfang Oktober äußerte der türkische Ministerpräsident Erdogan den deutschen Stiftungen gegenüber jenen Vorwurf, den sich auch Christine Umpfenbach und ihr Team gefallen lassen mussten: Sie würden nichts anderes bezwecken, als Lobbyarbeit für die Terroristen der PKK zu betreiben.Vielleicht sei sie zu naiv an dieses Projekt herangegangen, gibt Christine Umpfenbach zu. Letztlich aber habe eine gewisse Naivität auch etwas Gutes: Sie erlaube es, Fragen zu stellen, die ansonsten nicht aufgeworfen werden. Die Zeit mag noch nicht reif dafür sein, die Belange der kurdischen Minderheit auf einer türkischen Staatstheaterbühne zu verhandeln. Aber vielleicht ist es der Münchner Delegation zumindest gelungen, einen Dialog vor Ort in Gang zu setzen, hofft Christine Umpfenbach. Für sie bleibt die Erkenntnis, wie wertvoll es ist, an deutschen Staatstheatern auch unbequeme Meinungen vertreten zu dürfen.

Und für das Münchner Theaterpublikum bleibt eine Geschichte, die es wert ist, gehört zu werden. Dass das Projekt "München/Diyarbakir" wirklich gescheitert ist, darf deshalb getrost bezweifelt werden.

 

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