Warum auch Frauen in der kurdischen Guerilla kämpften

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Warum auch Frauen in der kurdischen Guerilla kämpften

von Azadiyakurdistan am 06.10.2010 00:55



"Es ist nur ein kleiner Berg"
Von Alexander Goeb

In Solidarität mit den 50 000 Kurdinnen und Kurden, die im September im Köln-Müngersdorfer Station an ihre Identität als Volk erinnerten und von 90 Prozent der deutschen Medien totgeschwiegen wurden. (1) In Erinnerung auch an die vielen Mädchen und jungen Frauen, die in der kurdischen Guerilla im Kampf für die Gleichberechtigung, für Eigenständigkeit, demokratische Freiheitsrechte und kurdische Kultur ihr Leben gelassen haben, schickte uns Alexander Goeb diesen Text aus seinem neuen Buch. - Die Redaktion

Berge mag ich nicht. Ich schaue gerne auf Gipfel, in tiefe Abgründe und auf eisige Gletscher. Besser gefallen mir die Ebenen, Wüsten und Wiesen. "Es ist nur ein kleiner Berg", sagte Günay, der Fotograf, mit dem ich ab und zu unterwegs bin. Wir aßen Homos Beiruti und Felafel, diese wirklich köstlichen Kichererbsenbällchen im Souk von Damaskus. Es war heiß in der alten Stadt am Barada, im Souk dagegen angenehm kühl. "Wir müssen nur eine steile Böschung hoch, das ist alles." Günay verabreichte Beruhigungspillen, denn er wußte, daß meine Lungen nur noch die Hälfte wert waren. Aber ihm war unbekannt, was das bedeutet. Wie sollte er es auch wissen. Wir waren zur Tarnung als Touristen in Damaskus. Doch die zahlreichen syrischen Geheimdienste hatten uns wahrscheinlich längst im Blick. Nun mußten wir diesen Berg hinauf. Wir wollten mit kurdischen Frauen sprechen, die ihr Land, ihre Familie, ihre Freunde, ihre Ehemänner, alles was ihnen mehr oder weniger lieb und teuer war und alles, was sie haßten, wie die Pest, zurückgelassen hatten, um zu trainieren. In den Bergen des Libanon übten sie das Töten. Günay, der Fotograf, erhoffte sich spektakuläre Bilder.

Es wird schnell dunkel in Arabien. Hinter dem Hermon Gebirge ging die Sonne unter. Der Muezzin rief, und wir zwängten uns in ein gelbes Allerwelts-Taxi mit einem schweigsamen Fahrer am Steuer. Im Fond saß außer uns eine kleine Frau in Bluejeans und Pulli, ein Rucksack war ihr Gepäck. Das Taxi fuhr auf der Autostraße Richtung Beirut, durchquerte die Berge von Khachine, in der Höhe des Jabal al Mazar, unmittelbar an der Grenze zum Libanon, mußten wir raus. Zu der Zeit war die Autostraße wenig befahren. Der Fahrer wartete den richtigen Moment ab, als kein anderes Auto zu sehen war, wir rissen die Autotüren auf und rannten über die Gegenfahrbahn auf eine steile Böschung zu. Der Berg lag vor mir, und ich bekam Beklemmungen. Ich gab mir einen Schuß aus der Spray-Dose. Es war wie gewohnt in solchen Situationen. Es war immer so, wenn ich vor Bergen, Anhöhen oder Hausetagen stand, die ich hinter mich bringen mußte. Der Berg war riesig. Eine mindestens 800 Meter hohe Geröllhalde, durchsetzt mit Dornenbüschen. Die kleine Frau sprach plötzlich Deutsch: "Wir müssen schnell hinauf wegen der Schmuggler. Sie schießen sofort."



Ich war immer dann unterwegs, wenn irgendwo ein Krieg drohte oder ein Krieg zu Ende ging. Den Krieg in den Köpfen in einen Friedensvertrag zu fassen, dauerte ungleich länger. Ich war da, wenn die offiziellen Krieger in den Kasernen waren, aber die inoffziellen noch auf Siege hofften. Im Krieg muß der Reporter vor den Scharfschützen davonrennen können, auch wenn das oft gar nicht mehr hilft. Das könnte ich nicht. Ich würde gemessenen Schrittes ins Feuer der Kalschnikows gehen. Das ist ein gewisses Dilemma und erfordert, strikte Reise-Organisation und beste Vorab-Recherche. Möglichst wenig Überraschungen der bösen Art. Jetzt waren wir im Libanon. Ohne Visum. Wenn hier etwas passierte, wuschen alle ihre Hände in Unschuld. Die Schmuggler schossen hier ohne groß zu fragen, aus Selbsterhaltungstrieb, nicht weil Mord ihr Lebenszweck wäre. Fragen zu stellen, können sie sich nicht leisten. Entweder treffen sie auf konkurrierende libanesische Milizen oder auf die syrische Grenzpolizei. Von beiden haben sie nichts Gutes zu erwarten. Aber die Kurden, denen wir uns hier anvertrauten, kannten die Lage. Obwohl es stockdunkel war, schien es ratsam, den Berg schnell hinter sich zu bringen. Die Dornenbüsche sahen aus wie Gespenster. Günay war mindestens hundert Meter voraus. Ich keuchte, wie nun einmal ein Asthmatiker keucht, wenn die Bronchien sich verweigern. Die Kurdin schaute besorgt. Verständlich, es ging nicht nur um mich. Sie schulterte schweigend mein Gespäck, lächelte, nahm mich an der Hand und zog mich den Berg hinauf. So ging es tatsächlich besser. Die kleine Frau hieß Jiyan, übersetzt: "das Leben". Einen Asthmatiker hatten sie noch nicht in ihrem Ausbildungscamp. Dorthin waren wir jetzt unterwegs. Wir stiegen den Jabal al Mazar hoch, etwa 1300 Meter, nicht viel, aber mir reichte es. Wie üblich, stellten sich die Kopfschmerzen ein. Ich stolperte an der Hand der kleinen schmalen Frau den Berg hinauf, bis die Gefahr vorbei war. Auf den Bergspitzen standen jetzt schemenhaft kurdische Wächter. "Wir haben es geschafft", meinte Günay, der an einer Bergkehre auf mich gewartet hatte. Entschuldigend sah er mich an: "Ich habe nicht gewußt, daß es so schlimm ist, sorry." Morgen früh würde Jiyan unter 500 Guerillakämpfern stehen, zum Morgenappell angetreten.



Schon Jahre hatte ich mich immer wieder gefragt: Warum sind die Kurden so militant geworden? Warum sind sie so wütend? Ich war nach Diyarbakir gefahren. Hier, mitten im Kurdengebiet, kann man das Elend dieses Volkes pur sehen. 1993 wurde dort, wie alljährlich, der 30. August gefeiert, ein Nationalfeiertag, Gefeiert wurde der Sieg über die Griechen im Jahre 1922. Der Ort des Geschehens war weiträumig abgesperrt. Der Taxifahrer machte ein finsteres Gesicht, als ich ihm mein Fahrtziel nannte. Als ihm ein Verkehrspolizist die Durchfahrt verweigerte, sträubte sich vor Wut sein buschiger Schnurrbart, er hob die Hand und ließ sie wie eine Guillotine niedersausen. Einige Müllmänner in Zivil waren abkommandiert, die Lücken im Publikum zu füllen. Es feierten die Besatzer. So war das hier. So sehen es die meisten Bürger dieser Stadt. Eine waffenstarrende Armada paradierte an der Tribüne des Sonder-Gouverneurs und der Militärs vorbei. Schwerbewaffnete Sondereinheiten musterten mit mißtrauischen Blicken jeden Zivilisten, der nicht die Knarre und das Funkgerät der Geheimpolizei trug. Vom Straßenrand warfen Kadetten der Gendarmerie Blumen auf die marschierenden Elitetruppen. Hubschrauber und Aufklärungsflugzeuge rasten im Tiefflug über die Stadt, Leopardpanzer aus deutscher Produktion und schwere Schützenpanzer ratterten die Straße entlang, zu Ehren des Sieges von Atatürk über die Griechen und zu Ehren der hochdekorierten Spezialtruppe, die dabei war, in den Bergen Kurdistans der Guerilla und in den Dörfern der kurdischen Bevölkerung den Garaus zu machen. In den Teegärten entlang der alten Stadtmauer saß die Opposition und dazwischen lauerten die Denunzianten des Sonder-Gouverneurs.

In Diyarbakir machten mein Begleiter und ich nichts, was mir den Atem hätte nehmen können. Wir spazierten gemächlich vor den beiden Gestalten der Geheimpolizei her mit ihren weißen Sommerhemden und den dunklen Hosen und den ständig schnarrenden Walkie-Talkies. Sie waren immer fünf Meter hinter uns, bis wir uns beschwerten. Danach wurden sie nicht mehr gesehen. Aber wir gaben uns nicht der Illusion hin, man hätte sie abberufen. Wir fuhren im Bus und mit dem Taxi, kreuz und quer, es sah aus, als machten wir das zum Spaß. Es war wie im Krimi, wenn der Verdächtige seine Verfolger abschütteln will.

An der Straße nach Batman, wo die Türken schon immer gern gewütet hatten, stank es nach Scheiße und Urin. Manchmal mischte sich in den Gestank der Duft von frischer Minze. Es war der Gestank der Armut, der sich in vielen Stadtteilen Diyarbakirs breit gemacht hatte. Oft gab es keine Kanalisation. Die Exkremente der Menschen und der Tieren landeten auf der Straße. Über Elektrizität verfügten nur wenige. Hütten wurden auf anderen Hütten errichtet, aus Wellblech und Pappe und verdorrten Sträuchern. Am Horizont dehnten sich gelbe Hügel. Dort machte der Sonder-Gouverneur Jagd auf die Turnschuh-Guerilla.

Im Stadtzentrum gab es eine kleine Passage mit Geschäften. Irgendwo da drinnen saß Sadik, ein Saz-Spieler, Komponist und Sänger. Sadik litt an Lymphdrüsenkrebs. Wenn er Schmerzen hatte, und das kam öfter vor, wurde seine Stimme ganz rauh. Er hatte sich selbst Deutsch beigebracht. Als er hörte, daß ich Deutscher bin, begann er zu singen: "Muß i denn, muß i denn, zum Städtele hinaus..." Es hörte sich an wie ein Grabgesang. Er sang ohne Lächeln mit ein paar Tränen in den Augen. Der kranke Mann war immer auf der Flucht vor der Polizei. "Taktaktak, machen sie, klopfen nachts gegen eins oder zwei Uhr an die Tür und sagen, wo ist deine Pistole. Ich denke immer, wann werden sie mich wohl töten."

Mit dem Vertrag von Sèvres 1920 hatten die damaligen Großmächte den Kurden kulturelle und politische Autonomie versprochen, im Klartext einen eigenen Staat. Sie waren vertragsbrüchig geworden, wie so oft. 40 Millionen Kurden leben auf der Welt. Die Forderung eines eigenen Staates haben die meisten aufgegeben. Dabei ging es nur noch darum, in einem Staat, solange es noch Staaten geben muß, friedlich leben zu können. Allerdings sollte man seine eigene Sprache sprechen können, sollte seine eigenen Lieder singen dürfen, ohne Bedrohung. Man sollte als Kurde teilhaben können an der Gesellschaft, als Kurde, nicht als Türke, denn Kurden sind keine Türken. Wenn ein Volk von 40 Millionen Menschen von all diesen Rechten ausgeschlossen wird, ist das Terror? Wenn Menschen zu Untermenschen gestempelt werden, was ist dann zu tun? Die Tutsis machten die Hutus nieder, mit den Folgen, die wir kennen. Die Serben stempelten die Albaner im Kosovo zu Parias, die Türken die Kurden, die sie gerne Bergtürken nennen, Washington DC die Indianer, die Deutschen die Juden.

1960 sprach ein türkischer Generalstabschef: "Wenn die Bergtürken sich nicht still verhalten, wird die Armee nicht zögern, ihre Städte und Dörfer zu bombardieren und zu zerstören. Es wird ein solches Blutbad geben, daß sie darin untergehen, sie und ihr Land." Das ist weitgehend geschafft. Der kurdische Anführer Abdullah Öcalan sitzt in einer Zelle auf einer Insel am Marmara-Meer, auch wenn das Todesurteil derweil unter dem Druck der EU-Menschenrechtler in Lebenslang umgewandelt wurde. Gäbe es die EU nicht, hätten sie ihn längst mit einem Genickschuß ad acta gelegt.

Wir saßen vor dem kurdischen Adler in der Sonne im Jabal al Mazar. Günay putzte seine Linsen. Die Guerilla probte den Ernstfall. Junge Frauen sprangen durch Feuerreifen, robbten durch Stacheldraht, dazwischen Feuerstöße mit scharfer Munition aus einer der üblichen pflegeleichten Kalaschnikows, seinerzeit konstruiert von einem inzwischen grauhaarigen alten Mann gleichen Namens. Die Mädels hetzten im grünen Drillich und gebrauchten Nike-Turnschuhen auf die Berge. Günay war voraus, er rannte wie eine Bergziege, was ihm schon mehrfach zu gute gekommen war, z.B. in Mogadischu. Der Fotografen-Kollege Hansi Klein hatte nicht so viel Glück.

Ich setzte mich auf einen Stein. Ich mag Steine, die kleinen, nicht die großen Brocken. Es war ganz friedlich hier, keine Kommandos mehr, keine Schüsse. Ein müder Skorpion quälte sich durch die Mittagshitze. Eidechsen wieselten von Ritze zu Ritze. Ein hungriger Bussard lauerte gierig auf Beute.

Gestern abend sangen die Guerilleras ein paar Lieder. Sie sangen von Kurdistan, vom alten Fürstentum Bothan, das sie in dieser Zeit zu erobern schienen, sie besangen den fahlen Mond als Geliebten, immer bedroht von schwarzen Wolken. Eine Frau mit dunklem Gesicht spielte auf der kurdischen Gitarre, der Saz. Jiyan erzählte, daß sie mit zehn nach Deutschland gekommen war und mit sechzehn mit einem Mann aus der Türkei, einem Kurden natürlich, verheiratet wurde. Er sei ein demokratischer Mann gewesen, sagte sie, sie habe Glück gehabt. Als Kind habe sie gar nicht gewußt, daß sie Kurdin sei, man habe ihr gesagt, du bist Bergtürkin, und später habe sie Bücher gelesen, und immer mehr Fragen taten sich auf. Fragen waren gefährlich, vor allem, wenn man auf ihre Beantwortung drängte. Hier im Lager träumte Jiyan manchmal von Batman, der Stadt aus der sie stammte.

Sara stand draußen vor dem Zelt und blickte in die Nacht. Sie war 34, nicht mehr jung für eine Guerillakämpferin, es schien ihr aber der einzige Weg, zu überleben. Sara kam geradewegs aus dem Gefängnis, 12 Jahre saß sie im Hochsicherheitstrakt von Diyarbakir. An ihr und vielen anderen wollte der türkische Staat damals Ende der 70er Jahre ein Exempel statuieren, gegen widerspenstige Demonstranten und penetrante Flugblattverteiler. Sara war unter den 70, die man einsperrte. Wie die anderen, sollte sie zerbrochen werden. Aufrechte Kurden waren unerwünscht. Elektroschocks, Vergewaltigung, Erniedrigungen waren im Folter-Angebot. "Ich sollte als Frau getroffen werden", sagt Sara leise. "Sie versuchten alles und waren sehr phantasiereich." Sara ist eine untypische Kurdin, sie hat blonde Haare und blaue Augen und ein hartes Gesicht. Mit den anderen wird sie bald in den Nordirak gehen. Sie hätten alle noch mehr erleben wollen, als es ihnen tatsächlich möglich sein würde. Die meisten von ihnen werden sterben. Aber das erfuhr ich erst später, obwohl ich es schon ahnen konnte. Jetzt und heute wollten sie in den Kampf ziehen, nicht nur um ein freies Kurdistan, sondern auch, um eine gerechtere Rolle für die kurdische Frau zu erkämpfen. Man hatte ihnen gesagt, das sei möglich. Jiyan würde dabei sein und Bengi, die aus dem irakischen Suleimaniya stammte. Die kurdische Guerilla bestand zu einem Drittel aus Frauen. Zwei der zehn Kommandanten dieses Lagers waren Frauen. Nur wenige von ihnen würden überleben.

Abdullah Öcalan, der heute in der Zelle sitzt, spielte am Morgen Volleyball. Die Guerilleros warfen dem Chef den Ball beflissen zu, so daß er nicht umhin kam, Punkt für Punkt, Siegball auf Siegball zu spielen. Jeder Punkt brachte rauschenden Beifall. Schlug der Boß daneben, herrschte betretenes Schweigen, hektisch spielten sie ihm erneut zu, bis er wieder gewann. Aufatmen. Eine Demoralisierung des Feldherrn durfte auch beim Volleyballspiel nicht in Szene gehen.

Öcalan ist ein bulliger Mann mit schwarzem Schnurrbart, immer auf dem Sprung, als erwarte er in jeder Sekunde einen Angriff. Er hatte sich die Emanzipation der Frauen zum Thema gemacht. Er sagte Sätze, die man ihm eigentlich nicht zutraute. Ob sie ernst gemeint waren, wird man nicht endgültig wissen können: "Eine künftige Gesellschaft muß sehr viel mehr von dem haben, was Frauen in sich tragen", sagte er. "Wir müssen zu einer Gesellschaft kommen, die nicht mehr vom Geist des Mannes, sondern von dem der Frau bestimmt wird." Dies wünschte man sich als Aussage gelegentlich von Politikern der westlichen Wertegemeinschaft. Ohne Zweifel, der Mann war eine Gefahr für die Türkei und vielleicht auch für Syrien, das ihm jahrelang Hausrecht gewährte. Seit Öcalan in der Todeszelle saß, nachdem er in der Manier des Mossad, des israelischen Geheimdienstes, aus dem afrikanischen Kenia, entgegen allen Gesetzen des Völkerrechts, entführt worden war, war der militärische Widerstand der Kurden zusammengebrochen. Es gab noch die versprengten Trupps im Nordirak, die keine Gefahr mehr darstellten. Der zivile Widerstand war noch nicht vorbei. Und die brutale Verfolgung der Kurden in ihrem eigenen Land ging auch weiter.

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