Welche Folgen hätte ein Sturz Asads auf das regionale Machtgefüge?

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Welche Folgen hätte ein Sturz Asads auf das regionale Machtgefüge?

from Azadiyakurdistan on 05/10/2011 01:58 PM

Ein Machtwechsel in Damaskus oder ein Zerfall Syriens hätte tiefgreifende Folgen in der ganzen Region. Weil aber nicht abzusehen ist, wer dabei gewinnt und wer verliert, sind alle besorgt.

Jürg Bischoff, Beirut

Nach 18 Tagen unablässiger Massenproteste haben die ägyptischen Generäle am 11. Februar Mubarak in die Wüste geschickt. Die ausdrückliche Ermunterung des amerikanischen Bündnispartners zu diesem Vorgehen hatte einen nicht unbedeutenden Anteil an der Lösung der Krise in Ägypten. Vor einem ähnlichen Szenario muss sich der syrische Präsident Asad nicht fürchten. Er hat weder eine Armee, die ihm auf Wunsch von aussen die Loyalität zu künden droht, noch eine Schutzmacht, die ihn fallenlassen kann. Und selbst die Regierungen, mit denen Asad im Clinch steht, zeigen wenig Begeisterung beim Gedanken, ihn loszuwerden.

Eigenes Bündnissystem

Die Ursachen für den Aufstand in Syrien sind weitgehend die gleichen wie in Ägypten und in den anderen arabischen Staaten – der bedrückende Repressionsapparat, die korrupte Vernetzung von politischer und wirtschaftlicher Macht, die unter den Jungen grassierende Arbeitslosigkeit. Doch weist das syrische System auch Elemente auf, die es zum Sonderfall machen, wie etwa sein unterschwelliger Konfessionalismus oder seine starke Ideologisierung. Und im Unterschied zu fast allen arabischen Ländern, die weitgehend von den USA abhängig sind, ist Syrien das Drehkreuz eines eigenen Bündnissystems, das es ihm erlaubt, Einmischungen von aussen zu widerstehen und selbst Einfluss auf die Region auszuüben.

So hat Präsident Asad die Anstrengungen der Bush-Administration zwischen 2003 und 2009 überlebt, ihn zu isolieren und einen «regime change» herbeizuführen. Asad hatte 2005 zwar seine Truppen aus Libanon abziehen müssen, dank seinem Bündnis mit Iran und dem Hizbullah hat er seinen Einfluss im Zedernland seither aber wiederhergestellt. Die Allianz mit Teheran und den libanesischen Schiiten stärkt Syriens Position gegenüber Israel, von dem es die Rückgabe des Golans fordert. Die Unterstützung der Hamas verschafft Damaskus zudem eine Mitsprache in palästinensischen Angelegenheiten.

Dieses Bündnissystem, dessen Rechtfertigung in der Konfrontation mit Israel liegt, ist allerdings stark schiitisch geprägt und weckt deshalb das Misstrauen der sunnitischen Monarchien am Golf. Der junge Asad hat dies mit der Annäherung an die aufsteigende Regionalmacht Türkei wettgemacht, mit der er im Dialog zur Bewältigung regionaler Konflikte steht. Wie Erdogan versucht Asad sich dem Westen und den Saudi als Kommunikationskanal nach Teheran anzudienen. Er bringt sich so auch als Mitspieler im Irak ein, zu dem Syrien eine lange und durchlässige Grenze besitzt.

Fällt das syrische Regime, zerfällt auch ein zentrales Beziehungs- und Kommunikationsnetz, dank dem Damaskus die Stabilität der Region sowohl stärken wie auch untergraben kann. Dies hat auch Washington anerkannt, als es nach sechsjährigem Unterbruch wieder einen Botschafter nach Damaskus schickte. Beunruhigender noch als die Perspektive, einen Kommunikationskanal zur Bewältigung von regionalen Krisen zu verlieren, ist jedoch die Gefahr, dass die syrische Krise selbst auf die Region übergreift.

Libanon fiebert mit
Dies zeigt sich etwa in Libanon, das seit dem Zusammenbruch einer Allparteienregierung im Januar auf die Bildung eines neuen Kabinetts wartet. Die Schwierigkeit liegt darin, dass die beiden libanesischen Schutzmächte Saudiarabien und Syrien mit den eigenen Krisen beschäftigt sind, während sich die heillos zerstrittenen Politiker und Parteien unfähig zeigen, ohne Anleitung aus Damaskus und Riad eine Einigung zu finden. Heute definieren sich die zwei politischen Blöcke, der eine angeführt vom schiitischen Hizbullah, der andere vom Sunniten Hariri, nicht als pro- oder antisyrisch, sondern als pro oder anti Asad. Zunehmend wird das Ringen im Nachbarland nicht als Kampf um Demokratie und Menschenrechte, sondern als Revanche der Sunniten gegen die Herrschaft der alawitischen Minderheit interpretiert.

Auf beiden Seiten der libanesisch-syrischen Grenze am Mittelmeer leben Sunniten, Alawiten und Christen. Vergangene Woche sind nach einer Razzia der Sicherheitskräfte in der syrischen Grenzstadt Tall Kalakh Hunderte von Sunniten nach Nordlibanon geflohen. Wie lange geht es, bis libanesische Sunniten ihren Glaubensbrüdern jenseits der Grenze mit Waffen beistehen oder der Konflikt in Syrien auf die nordlibanesische Hafenstadt Tripolis übergreift, wo Sunniten und Alawiten seit Jahrzehnten miteinander auf Kriegsfuss stehen? In ähnlicher Weise kann ein Zusammenbruch der Ordnung in Syrien auf alle Nachbarländer Syriens ausgreifen. Im Norden, in der Region von Antiochien, die erst 1939 von Syrien an die Türkei kam, leben Sunniten, Alawiten und Christen, die sich über die Grenze mit ihren Glaubensbrüdern solidarisieren können. Dasselbe gilt für die Kurden weiter östlich wie für die ethnischen und religiösen Gemeinschaften im Irak, deren Beziehungen seit 2003 von Gewalt geprägt werden.

Too big to fail?
Der wachsende Gegensatz zwischen Schiiten und Sunniten wird von fast allen Regimen und vielen Gruppen angeheizt und politisch ausgeschlachtet. In Bahrain, in Jemen und in Syrien wird er dazu missbraucht, die Unterdrückung der Proteste zu rechtfertigen, in denen die Jugend Würde, Freiheit und Arbeit fordert. Wenn Syrien entlang konfessioneller Trennlinien zerfällt, besteht die Gefahr, dass es weite Teile seiner Nachbarschaft mit in den Strudel zieht und die Konfrontation zwischen Saudiarabien und Iran zur Detonation bringt.

Solche Schreckensszenarien haben unter den Kommentatoren den Vergleich verbreitet, Syrien sei wie jene Banken, die in der letzten Wirtschaftskrise als «too big to fail» eingestuft wurden. Allen ist klar, dass der Sturz des syrischen Regimes tiefgreifende Konsequenzen im mittelöstlichen Machtgefüge haben würde. Viel weniger klar ist, wer die Gewinner und wer die Verlierer des Umbruchs sein würden. Dies erklärt auch die Vorsicht, mit der die Regierungen in der Region wie auch im Westen mit der syrischen Krise umgehen.

Quelle...

Silav û Rêz
Azad

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