Wenn sich das Asyl wie Gefangenschaft anfühlt

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Wenn sich das Asyl wie Gefangenschaft anfühlt

von Azadiyakurdistan am 21.06.2010 00:39



Nach Flucht und Folter hat Zinar F. Asyl in Deutschland gefunden. Doch hier darf er nicht einmal seinen Vater besuchen.


Zinar F. (Name geändert) ist froh, dass er in Deutschland ist, sagt er. Aber eins versteht er nicht: Warum er seinen Vater immer nur ein paar Stunden lang sehen kann.

Der staatenlose Kurde, der in Syrien aufwuchs, wurde dort häufig festgenommen, mindestens zweimal schwer gefoltert. Seit Dezember 2009 ist der 24-Jährige in Deutschland, im brandenburgischen Hennigsdorf wartet er sein Asylverfahren ab.

Zinar F.s Vater, bereits seit 1996 in Deutschland als Flüchtling anerkannt und inzwischen eingebürgert, wohnt in Berlin, nur wenige S-Bahn-Stationen entfernt. Gern würde er mehr Zeit mit ihm verbringen, sagt Zinar. Vater und Sohn hatten sich bis zu Zinars Ankunft in Deutschland 15 Jahre lang nicht gesehen, es gäbe viel zu erzählen. Doch in den sechs Monaten, seit Zinar hier ist, hat es immer nur zu kurzen Treffen gereicht.

Denn Hennigsdorf liegt im Landkreis Oberhavel, Berlin nicht, und weil Zinar Asylbewerber ist, gilt für ihn die sogenannte Residenzpflicht. Dass Asylbewerber in Deutschland sich in dem Landkreis aufhalten müssen, in dem sie bei der Ausländerbehörde gemeldet sind, ist seit 1982 Gesetz. Für jegliches Verlassen des Landkreises müssen die Flüchtlinge eine Sondererlaubnis beantragen.

Diese Erlaubnis bekommt der junge Mann gelegentlich: Für Termine mit seiner Anwältin, für die Psychotherapie, die er dringend braucht. Für Besuche bei seinem Vater nicht.

Drei Tage liegen zuweilen zwischen zwei Terminen, seine Anwältin hat immer wieder beantragt, dass Zinar für kurze Zeiträume wie diesen bei seinem Vater wohnen darf. „Es würden den Behörden dafür keine zusätzlichen Kosten entstehen, und an der Adresse seines Vaters wäre mein Mandant jederzeit erreichbar“, betont sie. Aber er darf nicht.

Die Erlaubnis, den Kreis zeitweise zu verlassen, soll laut Gesetzestext dann erteilt werden, wenn „ein dringendes öffentliches Interesse besteht oder zwingende Gründe es erfordern oder wenn die Versagung eine unbillige Härte bedeuten würde.“

Eine „unbillige Härte“ ist in den Augen des Innenministeriums etwa die Nicht-Teilnahme an einer Klassenfahrt. Doch in der Praxis ist den örtlichen Behörden ein weiter Ermessensspielraum gegeben.

Zu weit, finden viele, die sich damit beschäftigen. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Serkan Tören, der sich als Anwalt mehrfach mit ähnlichen Fällen beschäftigt hat und eine Lockerung der Residenzpflicht befürwortet, sagt: „Viel zu viel hängt von den einzelnen Beamten ab.“

Der Bayer Uli Epple, der sich mit einer Petition für die Abschaffung der Residenzpflicht stark macht, nennt ein Bespiel für Willkür aus seinem Heimatort Singen: „Wenn Kinder von Asylbewerbern in einem Krankenhaus außerhalb des Landkreises behandelt werden, wird den Eltern oft die Reise dorthin verweigert, sie dürfen ihre Kinder tagelang nicht besuchen.“

Viele verlassen ihren Landkreis deshalb einfach ohne die Sondererlaubnis. Notgedrungen, sagen sie. Auch Zinar F. weiß: Viele Menschen aus seinem Asylbewerberheim fahren ohne Wissen der Behörden nach Berlin. Das will er aber nicht: „Ich habe Respekt vor dem Gesetz, ich will mich richtig verhalten.“

Wer beim Übertreten der von den Behörden gesetzten Grenzen erwischt wird, bekommt eine Geld-, im Wiederholungsfall sogar eine Freiheitsstrafe. Der mehrfache Verstoß gegen die Residenzpflicht kann auch das Asylverfahren beeinträchtigen.

Für Zinar F. bedeutet die Residenzpflicht vor allem Einsamkeit. Er sei viel allein, sagt er. Zweimal pro Woche lernt er im Heim Deutsch, wenn dessen Zeit es zulässt, besucht ihn der Vater. Dann gehen sie im Park spazieren, trinken Tee, ein paar Stunden lang. Da Zinars Vater berufstätig ist, kann er nicht länger in Hennigsdorf bleiben – zumal er dort weder übernachten könnte, noch es einen Raum gibt, in dem Vater und Sohn allein sein könnten.

Zinar F. ist ein stiller, höflicher junger Mann, er spricht langsam, mit leiser Stimme. Die Folter in Syrien habe ihn schwer traumatisiert, heißt es in einem ärztlichen Gutachten. Sein Vater glaubt, dass ihm mehr Kontakt helfen würde: „Dann könnte er das, was ihn bedrückt, mit mir teilen. Ich bin seine engste Bezugsperson, kann und darf ihn aber kaum sehen.“

Gegner der Residenzpflicht hatten auf die Innenministerkonferenz Ende Mai gehofft: Auf Wunsch von Berlin und Brandenburg stand das Thema dort auf der Tagesordnung. Die beiden Bundesländer wollen mehr Spielraum für die Länder bei der Auslegung der Residenzpflicht.

Dann könnten die Länder Asylbewerbern gestatten, sich auch im benachbarten Bundesland frei zu bewegen – Fahrten von Brandenburg nach Berlin wären dann kein Problem mehr. Doch bei dem Treffen wurde nur die Koalitionsvereinbarung zur Kenntnis genommen, Asylbewerbern dann das regelmäßige Verlassen ihres Landkreises zu erlauben, wenn sie in einem anderen Landkreis Arbeit gefunden haben.

Zinar F. hofft weiter: „Ich möchte ein paar Tage bei meinem Vater verbringen können. Es ist mein einziger Wunsch, immer mal wieder dazu die Erlaubnis zu bekommen.“

Welt.de

Silav û Rêz
Azad

Antworten Zuletzt bearbeitet am 21.06.2010 00:41.

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