14. Juli Widerstand

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Mezrecux
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14. Juli Widerstand

von Mezrecux am 13.07.2010 18:07



Etwas außerhalb des Stadtzentrums liegt das Militärgefängnis von Diyarbakir. Zwischen 1978 und 1984 ereignete sich dort die wohl grausamste systematische Folter und Erniedrigung an politischen Gefangenen.
Kemal Pir verkündet am 14. Juli 1982 im Gerichtssaal zusammen mit Mehmet Hayri Durmu$ den Beginn des „Todesfastens“ aus Protest gegen ihre Haftbedingungen. Dieses Datum wird seither als „der Widerstand des 14. Juli“ bezeichnet und jährlich gedacht. 55 Tage nach Beginn der Aktion stirbt Kemal Pir im Gefängnis von Diyarbakir. Mehmet Hayri Durmu$, Ali Çiçek und Akif Yilmaz sterben ebenfalls bei diesem Hungerstreik.
Vor allem kurdische Gefangene, darunter viele PKK-Mitglieder oder Sympathisanten, waren in dem Militärgefängnis von Diyarbakir inhaftiert. Eigentlich war es angelegt für die Unterbringung von 300 Gefangenen. Doch schon bald befanden sich mehr als zehnmal so viele Gefangene dort, zusammengepfercht in Sammelzellen. Die hygienischen Verhältnisse waren ebenso eine Katastrophe wie das Essen. Eine weibliche Gefangene beschreibt in einem Gesuch an die Anwaltskammer, wie sie zunächst nach ihrer Festnahme in der Polizeistation in Mardin gefoltert wurde.


„Als ich ins Gefängnis kam, war die Lage nicht anders. Das schmutzige Wasser aus den Toiletten steht in den Gemeinschaftszellen. Es gibt kein Trinkwasser. Selbst die Teller können wir nicht spülen. Es gibt kein Bad. Unsere Haare sind voller Läuse. Die wachhabenden Soldaten sagen schmutzige Worte zu uns und belästigen uns!“(Serafettin Kaya)

Der Willkommens-Gruß sah folgendermaßen aus: „Mit ihren Knüppeln in der Hand gingen die Wärter auf uns los. Jeder Wärter schlug eine (vollkommen entkleidete) Person. Der Eid auf das Türkentum wurde verlesen."

Der beginnt mit den Worten: „Ich bin Türke, ehrlich, fleißig, gehorsam; meine Liebe zu meinem Land und meinem Volk ist größer als die Liebe zu mir selbst.

Für jedes der 44 Worte dieses Eides gab es einen Schlag." Die Prozedur wiederholte sich, dieses Mal wurde auf die Hände geschlagen. Danach mussten die Gefangenen sich hinlegen, und erneut wurden sie geschlagen, dieses Mal auf die Füße. Danach mussten die geschundenen Gefangenen auf ihren malträtierten Füßen hüpfen. So sah der Willkommens-Gruß aus. Baklava und Kadayif waren weitere Schläge auf das Gesicht, die Ohren, solange bis Blut aus der Nase floss. Das versuchten die Gefangenen mangels eines Tuches mit der Zunge aufzulecken. Sie hatten Baklava gegessen. Auf dem Weg in die Zellen wurden sie gezwungen, die türkische Fahne zu küssen, die am Anfang der Treppe hing.

Die organisierten Gefangenen beginnen, sich dieser Tortur zu widersetzen. Das Ergebnis ist Prügel, Folter und Isolation. Hayri Durmus, Mitglied im Zentralkomitee der PKK, befand sich seit 1979 in Diyarbakir in Haft. In einem Gesuch an die Anwaltskammer vom 31.12.1979 schreibt er: „Ich wurde von Kiziltepe geholt und zur Yenisehir-Inzibat-Polizeiwache in Diyarbakir gebracht. Während des vierzehn Tage dauernden Verhörs dort wurde ich ständig gefoltert. Elektroschocks, Bastonade und andere Arten von schwerer Folter wandte man bei mir an. Am Ende des vierzehntägigen unter Folter durchgeführten Verhörs war mein Körper eine einzige Wunde, vor allem meine Füße. Ich wurde kurze Zeit im Krankenhaus festgehalten. Mir wurde nicht einmal Gelegenheit gegeben, mich aufrichten zu können, geschweige denn zu genesen, da wurde ich geholt und an den Armen gestützt zur Gerichtsverhandlung gebracht. Das Gericht sah meinen Zustand. Meine Verletzungen waren immer noch bösartig, die Spuren der Folter an meinem Körper offensichtlich, von Tag zu Tag ging es mir schlechter."
Das Gesuch von Hayri Durmus wurde nicht weitergeleitet, einen Arzt bekam er nicht zu Gesicht.


Im Frühjahr 1982 beginnt mit einer Widerstandsaktion von Mazlum Dogan, ebenfalls Mitglied im Zentralkomitee der PKK, ein großer Gefängniskampf, der erst 1984 mit einer Vielzahl von Erleichterungen für die Gefangenen endet. Mazlum Dogan erhängt sich am traditionellen Widerstandstag der Kurden, dem Newrozfest am 21. März, in seiner Zelle. Zuvor steckte er symbolisch mit drei Streichhölzern seine Zelle in Brand. Das Fanal führt zu Unruhen innerhalb des Gefängnisses. Kemal Pir, türkischer Abstammung und ebenfalls ZK-Mitglied der PKK, und Hayri Durmus kündigen bei ihrem Prozesstermin am 14. Juli 1982 einen unbefristeten Hungerstreik an. Akif Yilmaz und Ali Cicek, ebenfalls PKK-Mitglieder, schließen sich der Erklärung an. Sie fordern ein Recht auf Verteidigung, ein Ende der Folter und der unerträglichen Haftbedingungen.


Viele Gefangene, nicht nur in Diyarbakir, schließen sich dem Hungerstreik an. Sie geben ihm das Motto „Widerstand heißt Leben". Dutzende sind es zunächst, nachher Hunderte. Kemal Pir sagte dazu: „Wir lieben das Leben so sehr, dass wir bereit sind, dafür zu sterben." Er stirbt am 4. Oktober 1982, dem 56. Tag des Hungerstreiks, Hayri Durmus stirbt nur wenige Tage später. Auch Ali Cicek und Akif Yilmaz verlieren ihr Leben. Doch führt dieser Widerstand dazu, dass die Gefängnissituation in Diyarbakir endlich in der ganzen Welt bekannt wird. Eine Kommission des Internationalen Roten Kreuzes erhält Zugang zum Militärgefängnis, doch werden ihnen nur ausgewählte Zellen gezeigt. Der internationale Druck auf das türkische Militärregime nimmt zu. Doch erst 1988 unterschreibt die türkische Regierung die Anti-Folter-Konvention in Helsinki.
Numan, von 1985 bis 1990 in verschiedenen Gefängnissen der Türkei inhaftiert, beschrieb in einem Gespräch mit deutschen Delegationsmitgliedern in der Mahsum-Korkmaz Akademie 1991 die Folter folgendermaßen: „In Diyarbakir wurde so schlimm gefoltert, weil damals der Widerstand von Diyarbakir ausging. Wir haben die Zeit eingeteilt in die Zeit vor der Grausamkeit und die Zeit nach der Grausamkeit. Ähnlich wie man die Geschichte in die Zeit vor Christi Geburt und nach Christi Geburt einteilt.

In der Zeit vor der Grausamkeit hatte die Folter ein erschreckendes Ausmaß angenommen. In einer Ecke des Gefängnisses war die Folter Durst, während in der anderen Ecke die Gefangenen mit Wasser bespritzt und geschlagen wurden. Während in einem Teil die Folter Hunger war, wurden im anderen Teil die Gefangenen gezwungen, Essen mit Dreck vermischt zu essen. In der einen Ecke waren Schläge die Folter, in der anderen der Zwang zum Schweigen. Alles wurde vom Regime zu Folter verwandelt, im Sommer war die Hitze Folter, im Winter die Kälte!“

Und ein anderer ehemaliger PKK-Gefangener ergänzte: „In Diyarbakir wurden klassische und modernste Foltermethoden angewandt. Mossad und CIA waren dort anwesend. Es war wie ein Versuchsgefängnis. Man untersuchte die Auswirkungen der Folter an den Menschen, und wie lange sie die Folter aushalten."

Das „beste" Ergebnis war erreicht worden, wenn einer der Gefangenen selbst zum Wärter wurde. In einem Bericht des Helsinki Watch Komitees (aus dem Jahr 1987) ist folgendes zu lesen: „Ein früherer Gefangener soll neben dem Kommandanten folgende Rede gehalten haben: „Ihr seid Türken. Ihr werdet die kurdische Sprache vergessen. Dies ist für Euch eine Schule. Ihr werdet zur kemalistischen Jugend erzogen. Wir müssten Euch eigentlich vernichten, aber statt dessen wird die türkische Armee Euch erziehen und zu nützlichen Personen für die Gesellschaft machen. Ihr müsst wie Soldaten handeln. Wenn Ihr Militärpersonal trefft, müsst Ihr sie grüßen und im Gleichschritt laufen."


„Eure Kraft reicht nicht aus, um mich Leben zu lassen.“
(Kemal Pir)

tigris-akademie.de

Antworten Zuletzt bearbeitet am 13.07.2010 18:58.

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