Das Telefon sagt du

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Das Telefon sagt du

von Azadiyakurdistan am 27.11.2011 23:04

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder hat eine Studie über Zwangsheiraten vorgestellt. Als Konsequenz aus den erschreckenden Zahlen kündigt sie die Einrichtung eines Beratungstelefons an.

von Hannes Soltau

In Zeiten moderner Telekommunikationstechnik scheint die Hotline die Universallösung für jede gesellschaftliche Herausforderung zu bieten: Ob reuiger Berliner Autozündler, gescheiterter Neonazi oder gewaltbereiter Islamist von nebenan – für alle gibt es in der Welt der Kristina Schröder eine Nummer gegen Kummer. So verwundert es nicht, dass die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 9. November bei der Vorstellung der Studie »Zwangsverheiratung in Deutschland« als Konsequenz aus den Erkenntnissen auf dieses Mittel zurückgriff und die Einrichtung eines telefonischen Beratungsdienstes für Betroffene ankündigte.

Sie versprach den Betroffenen »ein Ohr, das zuhört, einen Mund, der Auswege beschreibt und Hände, die helfen«. Dann war es auch schon Zeit fürs Pressefoto. Zusammen mit der Integrationsbeauftragten Maria Böhmer hielt Schröder lächelnd den Bericht in die Kameras. Doch falls die Ministerin einen Blick auf die von ihr präsentierten Seiten gewagt haben sollte, hätte ihr eigentlich auffallen müssen, dass kein Grund zur Freude besteht: Die von der Lawaetz-Stiftung und Terre des Femmes erstellte Studie erfasste innerhalb eines Jahres 3 443 Beratungsfälle zu Zwangs­ehen, in knapp 1 000 Fällen bereits nach vollzogener Eheschließung. 30 Prozent der Betroffenen waren unter 17 Jahren, die jüngste Betroffene war neun. Mehr als die Hälfte der Frauen berichtete von körperlicher Gewalt, über ein Viertel gar von Morddrohungen oder Bedrohungen durch Waffen. Jede zehnte Betroffene erlebte sexuelle Gewalt.

Seit Jahren weisen Frauenrechtsorganisationen bereits darauf hin, dass Zwangsehen in Deutschland keine Ausnahmefälle sind. Nun, da die alarmierenden Zahlen auf dem Tisch liegen, ist die Geschäftsführerin von Terre des Femmes, Christa Stolle, enttäuscht: »Es kann nicht sein, dass der deutsche Staat seiner Fürsorgepflicht für die jungen Frauen nicht nachkommt. Es bedarf einer konsequenten Präventionsarbeit bereits lange vor ihrer Verschleppung.« Dazu reiche es nicht aus, sie erst in einer akuten Krise zu unterstützen. Zudem fänden die Hälfte der in Deutschland registrierten Zwangsverheiratungen im Ausland statt, wo der Großteil der Betroffenen nicht mehr von deutschen Beratungsstellen erreichen wird.

Wie wenig ernst es die Bundesregierung mit ihrer Solidarität mit betroffenen Frauen meint, zeigte sich in den Gesetzesänderungen zur Zwangs­ehe, die im Juli dieses Jahres in Kraft getreten sind. Mit dem »Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat« wurde zwar einerseits ein eigener Straf­tatbestand geschaffen und Opfer von Zwangsverheiratungen, die von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten werden, erhielten ein großzügiges Wiederkehrrecht. Allerdings gilt dies nur für Betroffene, die »sich auf Grund ihrer bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen« könnten. Wie zynisch das ist, zeigt nun die Studie, in der berichtet wird, dass gerade im Falle einer Zwangsverheiratung die Ausbildung oder Erwerbstätigkeit von den Betroffenen meist nicht weiterverfolgt wird, diese vielfach auch direkt daran gehindert werden.

Die Haltung der Regierung zeigt sich auch in dem Beschluss, die sogenannte Mindestehebestandszeit im Aufenthaltsrecht heraufzusetzen. Statt wie bisher zwei Jahre muss eine Ehe nun drei Jahre lang bestehen, bevor eine Frau ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erlangen kann. Das bedeutet im Fall einer betroffenen nachgezogenen Ehefrau, dass sie zukünftig länger als bisher in einer Zwangsehe leben muss, bevor sie ein Recht auf Aufenthalt in Deutschland erhält.

Schließlich zeigt gerade auch die rigide deutsche Abschiebepraxis, dass ein wirkliches Interesse der Bundesregierung an der Verbesserung der Situation von betroffenen Frauen kaum vermutet werden kann. So wurde beispielsweise im Dezember vorigen Jahres Fatima A. mit ihren zwei Kindern direkt aus dem Frauenhaus Kassel abgeschoben. Der Vorwurf: Einreise unter falschem Namen. Als die damals 17jährige zur Zwangsheirat nach Deutschland gebracht wurde, hatte die Familie sie gezwungen, einen falschen Namen anzugeben. Nach der Trennung von ihrem gewalttätigen Ehemann wandte sie sich hilfesuchend an die deutschen Behörden, die sie kurzerhand zum Frankfurter Flughafen brachten. Die Fragen des Aufenthaltsrechtes waren für die Behörden offenbar wichtiger als der Schutz und die Sicherheit von Fatima und ihren Kindern.

Die Studie selbst liefert leider kaum neue Erkenntnisse zu den Hintergründen von Zwangs­ehen. So wird im Kapitel »Ursachen und Motive von Zwangsverheiratungen« nur schwammig konstatiert, dass »keine belastbaren Zusammenhänge mit den in der Öffentlichkeit diskutierten Erklärungsansätzen« festgestellt werden konnten, sondern die Fälle viel eher »an spezifische, kaum generalisierbare Mischungen unterschiedlicher Faktoren gebunden« seien. Dabei bietet die Studie dazu einige Zahlen: Die Eltern der verheirateten Paare gehören zu 83 Prozent dem Islam an, fast zehn Prozent dem unter Kurden verbreiteten Jesidentum und 3,4 Prozent dem Christentum. Zwei Drittel stammen aus stark religiös geprägten Familien, und die häufigsten Herkunftsländer der Eltern sind die Türkei, gefolgt von Serbien, Kosovo, Montenegro und dem Irak. Umso verwunderlicher ist es, dass in der Studie der Faktor Religion als »leere Variable« ausgeschlossen wurde.

Zwangsheirat ist weder Privatsache noch relativierbar, egal mit welcher Kultur, Religion und Tradition sie jeweils verbunden ist. Zwischen einer kulturrelativistischen Sichtweise, die den Vertretern eines Anspruchs auf Freiheit der Partnerwahl Eurozentrismus vorwerfen, und einer konservativ-nationalistisch orientierten Position der Abgrenzung muss eine Perspektive entwickelt werden, die die universelle Freiheit des Individuums verteidigt, ohne dabei Ressentiments zu bedienen. Dass Kristina Schröders Ohren dafür nicht offen sind, hat ihr Mund erneut unter Beweis gestellt, so dass auf ihre helfenden Hände wohl kaum zu hoffen ist.

Quelle...

Silav û Rêz
Azad

Antworten Zuletzt bearbeitet am 27.11.2011 23:06.

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