Der Film ist ein einziges Gedicht

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GulaKurdistane
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Der Film ist ein einziges Gedicht

von GulaKurdistane am 05.02.2011 11:09

Der letzte Tag im Leben von Beritan

Reimar Heider

Beritan war eine Guerillakommandantin, die zur Legende wurde. Jetzt hat ihr die Guerilla ein Denkmal gesetzt – mit einem einzigartigen Film.
„Beritan“ hat schon vor seinem offiziellen Start kurdische Filmgeschichte geschrieben. Zwar ist es nicht der erste abendfüllende Spielfilm, der bei der Guerilla gedreht wurde, aber – so viel sei schon jetzt verraten – der mit Abstand beste.

„Beritan“ erzählt die Geschichte der legendären Kommandantin Gülnaz Karatas, Codename Beritan, die 1992 nur 25 Tage im Kampfgebiet überlebte, bis ihr spektakulärer Tod sie bei Freund und Feind unvergesslich machte. Der Film, dessen viele Gefechtsszenen mit scharfer Munition und echten Granaten gedreht wurden, kann technisch mit weitaus aufwändigeren Produktionen mühelos mithalten – eine absolut erstaunliche Leistung des Filmteams.
Beritan, die aus Dersim/Karakocan stammt, schloss sich 1991 der Befreiungsbewegung an, während sie an der Universität Istanbul studierte. Bei der Guerilla machte sie sich schnell einen Namen, weil sie Missstände offen anprangerte, anging und sich mit traditionell denkenden Kommandanten und Kommandantinnen anlegte, die den Frauen in der Bewegung nur minderwertige Hilfsaufgaben übertragen wollten. Beritan war es auch, die als Erste die Tradition des Guerillagedichts begründete – eine Tradition, deren Produkte heute Dutzende von Monografien und Anthologien füllen.

Seit vielen Jahren bemühen sich Regisseur Halil Uysal und diverse Theatergruppen der Guerilla, unter den unwirtlichen Bedingungen der Berge mit cineastischen Mitteln die Geschichte der Befreiungsbewegung in Bildern festzuhalten und Geschichten zu erzählen. War der erste Film, „Nepeniya Ruye me“ (Das Geheimnis unserer Gesichter), noch so misslungen, dass er nicht einmal seinen Weg ins kurdische Fernsehen fand, erzielte „Eyna Bejne“ (Der Ganzkörperspiegel) bereits einigen Erfolg. Der Film erzählt die Geschichte eines Mädchens, das sich der Guerilla anschließen will. Da es zu jung ist, um mitzukämpfen, sich aber auch nicht abweisen lässt, versucht die Gruppe, sie in Sicherheit zu bringen. Als sich herausstellt, dass sie noch nie einen großen Spiegel gesehen hat, beschließen die Guerillakämpfer, ihr den Wunsch zu erfüllen, sich einmal ganz im Spiegel betrachten zu können. Um einen großen Spiegel durch die Frontlinie zu transportieren, riskieren sie ihr Leben. Diese schöne Parabel hatte noch einige Längen, vielleicht auch deshalb drehte Regisseur Halil Uysal danach „Tirej“ (Sonnenstrahl). Tirej ist ein Kurzfilm, der den letztlich vergeblichen Widerstand zweier Guerillakämpfer zeigt, die von ihrer Gruppe abgeschnitten werden. Tirej, namengebende Hauptfigur, schreibt noch im heftigsten Geschützfeuer Tagebuch, bevor auch er fällt. Beide Filme, die trotz ihrer Surrealität ebenfalls auf wahren Begebenheiten beruhen, sind absolut sehenswert, weisen aber noch einige handwerkliche Mängel auf. Weitere Filme sind: Sond (Das Versprechen), Tilili, Dema Jin Hezbike (Wenn die Frau liebt), Fermisken Ava Ze (Die Tränen des Zap). Beritan ist der achte Film der Gruppe.

Der Film erzählt den letzten Tag im Leben von Beritan, in immer neuen Rückblenden wird dessen Vorgeschichte fassbar: Beritan als Lehrerin im Alphabetisierungskurs bei der Guerilla, Beritan und ihr Verlobter, mit dem sie sich gemeinsam anschließt und von dem sie durch den Krieg getrennt wird, Beritan, die gegen das Kopftuch kämpft, auf dem auch Frauen bestehen. Beritan, die nicht kochen, sondern kämpfen will. Während in der Rahmenhandlung Tag und Nacht gekämpft wird, sind es diese Rückblenden, die das Menschliche im Krieg fassbar machen. Überraschend intensiv beispielsweise die platonische Liebesszene zwischen Beritan und Hüseyin, die praktisch ohne eine Berührung der beiden auskommt. Doch auch der Krieg kennt viele Gefühle. Widerwillen, einen Gegner aus nächster Nähe töten zu müssen, Angst, Sorge, Trauer und Verantwortung.
Während der oberste Kommandant des Frontabschnitts, der von Ömer Harran hervorragend gespielte Osman Öcalan, mit dem Verrat mehr als nur liebäugelt, fallen nach und nach die Genossinnen und Genossen Beritans, die als umsichtige Kommandantin immer das Wohl der Gruppe im Blick hat. Zuletzt bleibt sie allein – umzingelt von Peschmergas der KDP, die es auf sie abgesehen haben. Bis zur letzten Kugel kämpft sie, zerstört ihre Waffe und opfert sich zuletzt selbst, um sich auf keinen Fall zu ergeben, ihre Träume niemals zu verraten. Leider ist gerade diese letzte Szene, auf die alles im Film hinauslaufen muss, da das Ende ja allgemein bekannt ist, eher misslungen.
Während der Dreharbeiten an Originalschauplätzen wurde das bisher unbekannte Grab Beritans entdeckt. Die Exhumierung und Überführung ihrer sterblichen Überreste in ein neues Grab rahmen die Spielfilmhandlung ein und verleihen „Beritan“ einen noch authentischeren Charakter. Die enge Verzahnung von Realität und Fiktion macht es den ZuschauerInnen ohnehin schwer, sich emotional zu distanzieren. Die enorme Detailtreue sowohl der Kampfszenen als auch der Rückblenden sowie die schauspielerische Leistung der DarstellerInnen lassen die drei Stunden des Films wie im Flug vergehen. Beritan setzt neue Maßstäbe für den kurdischen Film überhaupt und ist ohne Zweifel die bisherige Krönung des theatralischen und cineastischen Schaffens der Befreiungsbewegung. Technische Mängel wie gelegentlich unverständlicher Ton und die misslungene Schlussszene schränken diesen Eindruck kaum ein. Verwirrend wirkt lediglich, dass die ZuschauerInnen wenig über die Umstände des Krieges erfahren.
Kämpfende Bewegungen neigen gelegentlich zum Pompösen und Monumentalen, um die Größe ihrer revolutionären Ideen oder der erlittenen Torturen auszudrücken. Manche errichten dazu Denkmäler oder Monumente. Auch „Beritan“ ist ein Monument – aber nicht grob und klotzig, sondern eher fein und poetisch. Beritans bekannte Gedichte kommen im Film nicht vor – aber der Film ist selbst ein einziges Gedicht. Eines in dem es donnert und knallt, in dem gekämpft, getötet und gestorben wird. Aber eben auch eines, in dem geliebt, gelacht und gehofft wird. Die Heldinnen und Helden in „Beritan“ sind keine Übermenschen, sondern im Gegenteil ganz besonders menschlich. Absurd schön der Dialog zwischen Beritan und ihrer türkischen Genossin Ruken: „Weißt Du, Heval Ruken, dieser Krieg ist bald zu Ende. Morgen ist der letzte Tag.“ „Woher weißt Du das?“ „Ich weiß es nicht – ich fühle es.“ Das war vor 14 Jahren. Doch noch immer wird getötet und gestorben, gehofft und geliebt.

Beritan Kurdistan 2006
Regie: Halil Uysal, Jinda Baran, Dersim Zerevan
DarstellerInnen: Beritan Dersim (Beritan), Jinda Baran (Ruken), Ömer Harran (Osman Öcalan), Mehmet Emin (Hüseyin)

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