In Syriens Kurdengebieten herrscht ein brüchiger Friede

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Kudo21
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In Syriens Kurdengebieten herrscht ein brüchiger Friede

von Kudo21 am 06.03.2013 18:21

Im syrischen Ras al-Ayn haben islamistische Milizen und Kurden nach heftigen Kämpfen einen Waffenstillstand geschlossen. Doch das Misstrauen bleibt groß.


Leere Konservendosen und säckeweise verschimmeltes Brot kehren die Heimgekommenen aus ihren zerschossenen Häusern. Aufgebracht zeigen die Männer auf durchsiebte Metalltüren und verwüstete Inneneinrichtungen, beklagen Zerstörung und Plünderung. Inmitten all der Wut steht Zakharias und kratzt sich verloren am Bart. Der junge Englischlehrer aus einer wohlhabenden Unternehmerfamilie hat sich der Freien Syrischen Armee (FSA) angeschlossen. Nicht als Kämpfer: Mal dolmetscht er für ausländische Journalisten, mal schmuggelt er Satellitentelefone aus der Türkei zu den syrischen Rebellen.

Heute begutachtet er die Schäden in der nordsyrischen Grenzstadt Ras al-Ayn, oder Serê Kaniyê, wie die Kurden sie nennen. Sie stellen die Mehrheit hier und waren in großer Zahl in die Türkei oder in andere kurdische Städte Syriens geflohen. Nach monatelangen Kämpfen zwischen der FSA und kurdischen Milizen stehen sie vor den Trümmern ihrer Existenz.

Die vom syrischen Diktator Baschar al-Assad jahrzehntelang unterdrückten kurdischen Parteien hatten sich im aktuellen Konflikt gegen eine militärische Lösung ausgesprochen. Sie vertrieben die syrische Armee größtenteils friedlich aus ihren Städten. Die sogenannten Volksverteidigungseinheiten (YPG), die inzwischen für Sicherheit sorgen und die Polizeiarbeit übernehmen, haben ihre historischen Wurzeln in der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD). Sie unterstehen jedoch dem Hohen Kurdischen Komitee, das die Kräfte des Kurdischen Nationalrats mit der PYD zusammenbringt.

In den Augen vieler FSA-Angehöriger sind die YPG-Milizen jedoch nicht mehr als der syrische Arm der türkisch-kurdischen Guerilla PKK. Deren in der Türkei inhaftierte Chef Abdullah Öcalan sehen viele PYD-Anhänger in der Tat als einen ihrer ideologischen Führer.

Als selbst erklärte Schutzmacht der in Ras al-Ayn lebenden Araber marschierten im Herbst 2012 mehrere Hundert islamistische FSA-Kämpfer nach Ras al-Ayn und belagerten die Stadt drei Monate lang vergeblich. Die in den kurdisch geprägten Provinzen al-Hasaka und ar-Raqah liegenden Ölquellen spielten sicher ebenfalls eine Rolle. Nach Angaben von Ayhan Terfan, dem Leiter des Krankenhauses in der türkischen Schwesterstadt Ceylanpınar, behandelten seine Kollegen in den vergangenen drei Monaten rund 800 Kämpfer und Zivilisten aus Ras al-Ayn, die sich über die Grenze retten konnten.

Die Wunden sind noch frisch

Das militärische Patt und die Einmischung populärer Oppositionspolitiker wie des Christen Michel Kilo hatten die Lage in den vergangenen Wochen etwas beruhigt. Am 17. Februar schließlich unterzeichneten die beiden Fraktionen einen Waffenstillstand. Das Dokument sieht vor, dass alle ausländischen Dschihadisten die Stadt verlassen und Checkpoints eingerichtet werden, die von gemäßigten FSA-Kräften und Kurden gemeinsam bewacht werden.

Die Einhaltung der Vereinbarungen soll ein neu gegründeter Stadtrat mit Vertretern beider Seiten überwachen. Doch das Misstrauen ist groß. "Wie können wir ihnen so schnell nach Ende der Kämpfe vertrauen?", fragt FSA-Mann Zakharias. Und Abdul Wahab Kassem, Leiter des Parteibüros der kurdisch-sozialistischen PDPKS, sagt: "Die Freie Syrische Armee ist nicht wirklich frei. Sie gehorcht lediglich der türkischen Politik, die eine kurdische Selbstorganisation auch in Syrien verhindern möchte." Die PDPKS ist die älteste kurdische Partei und in Ras al-Ayn ebenso vertreten wie die PYD.

Kassem gegenüber hängt das Porträt seines Bruders Alaa, der Anfang Februar an den Folgen einer Schussverletzung durch Einheiten der Freien Syrischen Armee starb. Auch die seelischen Wunden in Ras al-Ayn sind noch frisch.

Viele Kurden sehen die FSA-Kämpfer als Besatzer


Dennoch patrouillieren nun am Ortsausgang der vor dem Krieg rund 55.000 Einwohner zählenden Stadt Kurden und sunnitische Rebellen gemeinsam. Die Männer, die dort Dienst tun, glauben nicht so recht daran, dass der Frieden halten wird.

Zwei der Einheiten, die einen Großteil der örtlichen FSA-Kämpfer stellen, sind Ayad al-Fahry und Ahrar al-Jazeera. Beide gehören dem gemäßigten islamistischen Spektrum an, sie grenzen sich durch liberalere Positionen mit Blick auf persönliche Freiheiten des Einzelnen von den Radikal-Islamisten ab. Trotzdem bestreiten sie Operationen gemeinsam mit den dschihadistischen Jabhat al-Nusra und sprechen den syrischen Kurden das Recht auf Autonomie ab. Sheikh Hamad, Kommandeur der Ahrar-al-Jazeera-Brigade, sagt über den Friedensprozess nur kühl: "Das Abkommen wurde zwischen dem Militärrat der FSA und den kurdischen Organisationen geschlossen. Die individuellen Einheiten in Ras al-Ayn wurden nicht um Rat gefragt."

Inzwischen haben sich zahlreiche FSA-Gruppen individuelle Finanzierungsnetzwerke in den reichen Golfstaaten aufgebaut, wohl auch Ayad al-Fahry und Ahrar al-Jazeera. Verwandte leiten ihnen Geldmittel zu, wodurch sie von den offiziellen FSA-Strukturen unabhängig handeln können. "Finanzielle Freiheit bedeutet eine Freiheit der Gedanken", sagt Zakharias. Für die syrische Opposition sind solche Milizen nur schwer zu kontrollieren.

Die FSA-Kämpfer von Ras al-Ayn sind in ärmlichen Behausungen untergekommen, meist teilt sich ein Dutzend Männer einen Schlafplatz. Aus Sicht der Bevölkerung bleiben sie im schlimmsten Fall "die Besatzer", denn in den meisten Fällen stammen sie aus anderen Städten des Landes. Wenn in Ras al-Ayn nun neue zivile Strukturen entstehen, sind sie in diesen Prozess kaum eingebunden.

FSA-Kämpfer wollen den Sturm auf Qamishli

Also wenden sie sich anderen Eroberungszielen zu: Ginge es nach Ayad al-Fahry und Ahrar al-Jazeera, würde die FSA bereits in den kommenden Wochen den Sturm auf die größte kurdische Stadt Syriens, Qamishli, beginnen. Dort ist noch immer ein Rest Assad-Truppen stationiert, doch es geht wohl eher darum, die YPG zu schwächen: Läge erst Qamishli in Trümmern, würden sie die Herrschaft der FSA über die kurdischen Gebiete schon akzeptieren und sich stärker am Kampf gegen die Regierungstruppen beteiligen. So zumindest denken die islamistischen Feldkommandeure, in deren Reihen auch Legionäre aus dem Irak und anderen islamischen Ländern kämpfen.

Nach Ras al-Ayn kehren unterdessen jeden Tag rund 100 Menschen zurück. Ladenbesitzer bieten Zigaretten und Benzin zum Verkauf, in den Bäckereien läuft das Brot von den verrußten Fließbändern. Türkische Schmuggler und kurdische Aktivisten unterstützen die Stadt beim Wiederaufbau. Deshalb ist die Versorgungslage hier besser als in vielen abgelegeneren Teilen des Landes. Warum genau seine Heimat in den Krieg hineingezogen wurde, kann Kurden-Politiker Kassem bis heute nicht verstehen: "Assad ist in Aleppo und Damaskus, aber doch nicht hier."

Quelle

 

Antworten Zuletzt bearbeitet am 06.03.2013 18:30.

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