Leben wie in Kurdistan

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Leben wie in Kurdistan

von Peshmerge_Gerilla am 15.11.2011 21:45



Mehrere Provinzen im Irak wollen jetzt autonom werden - so wie die Region im Norden des Landes. Sie fürchten zwar, vom Reichtum aus den Ölgeschäften ausgeschlossen zu werden. Aber ob sie das aufhalten wird?

Für den Ministerpräsidenten Nuri Al-Malki kam der Schritt überraschend. Ende Oktober erklärte sich die Provinz Salah Al Din zu einer autonomen Region (vergleichbar mit einem Bundesland in Deutschland). Die Provinz, auch bekannt, weil in ihr der Geburtsort des hingerichteten Diktators Saddam Hussein und vieler seiner alten Getreuen liegt, will sich nicht mehr von Bagdad bevormunden lassen. Sie will ihre finanzielle und verwaltungsmäßige Autonomie, ähnlich wie die autonome Region Kurdistan. Und das geschieht in einer kritischen Zeit, in der der Termin für den Abzug der Amerikaner Ende 2011 immer näher rückt.

Der Vorstoß des Provinzrats, also des örtlichen Parlaments, rief einen Aufschrei des Entsetzens hervor; nur wenige Kommentatoren und Politiker signalisierten Verständnis. Ministerpräsident Al-Maliki zeigte sich vor allem besorgt um die Einheit des Landes. Er traf sich mit Repräsentanten von Salah Al Din und warnte, die Umsetzung des Föderalismus könne der Zwietracht in der Gesellschaft und dem Auseinanderdriften des Iraks Tür und Tor öffnen. Er kündigte an, den Beschluss beim Verfassungsgericht anzufechten.

Andere sprechen der Provinz zwar nicht das Recht ab, eine autonome Region zu bilden. Sie kritisieren, wie die lokalen Politiker vorgegangen sind. Tatsächlich scheint der Beschluss der rebellischen Provinz nicht gründlich durchdacht zu sein. Er wirkt eher wie eine Flucht nach vorn. Die Verantwortlichen in Salah Al Din sind offensichtlich verärgert über die Zentralregierung. Al-Maliki hatte neulich verkündet, er werde eine "Verschwörung" von Anhängern der verbotenen Baath-Partei aufdecken. Daraufhin wurden Hunderte verhaftet, auch in Salah Al Din. Einige Professoren und Lehrkräfte der Universität von Salah Al Din wurden aus ihren Ämtern entlassen mit dem Vorwurf, sie seien führende Mitglieder der Baath-Partei gewesen.

Das Für und Wider

Die meisten Konflikte im Irak drehen sich um den Reichtum des Landes und wie er aufgeteilt wird.Insgesamt entfachte der Vorfall eine hitzige Debatte um den Föderalismus im Irak. Die Befürworter föderaler Strukturen berufen sich auf die Verfassung von 2005. Im Artikel 1 steht klipp und klar: Der Irak ist ein Bundesstaat. In diesem Grundsatz sahen die Verfassungsväter einen geeigneten Weg, eine Rückkehr der Diktatur zu verhindern. Tatsächlich aber gibt es bis jetzt nur eine einzige föderale Region. Die drei kurdischen Provinzen im Norden des Landes schlossen sich unmittelbar nach dem Stürz des alten Regimes zu einem Bundesland mit weitgehender Selbstständigkeit zusammen. Die Bilanz dieser Entwicklung ist durchaus positiv. Trotz Korruption und Misswirtschaft der beiden kurdischen Regierungsparteien ist die Lage in Kurdistan besser als in anderen Regionen des Landes. Dies gilt nicht nur für die Sicherheit.

Auch auf wirtschaftlichem Gebiet können die kurdischen Provinzen bessere Ergebnisse aufweisen. Kein Wunder, dass andere Regionen mit Neid nach Kurdistan blicken. Immer wieder werden Forderungen zur Bildung weiterer föderaler Regionen laut, wie zum Beispiel in der mehrheitlich schiitischen Region um die Hafenstadt Basra im Süden oder der mehrheitlich sunnitischen Regien Al Anbar im Westen. Aber diese Versuche scheiterten bis jetzt, weil sie auch innerhalb der jeweiligen Region die erforderliche Mehrheit verfehlten. Die weitere Entwicklung des föderalen Systems im Zweistromland wird in erster Linie davon abhängen, in wie weit es gelingt, die konfessionellen und ethnischen Gegensätze zu entschärfen. Sie hängen aber auch mit wirtschaftlichen Interessen zusammen.

Bei Geld hört die Freundschaft auf

Die meisten Konflikte im Irak drehen sich um den Reichtum des Landes und wie er aufgeteilt wird. Dabei stehen natürlich die großen Erdölvorräte im Mittelpunkt. Denn das schwarze Gold ist nicht gleichmäßig verteilt. Die Regionen haben Angst, leer auszugehen, wenn es zur einer Aufteilung des Landes kommen würde. Denn die Milliarden aus dem Erdölgeschäft werden momentan fast komplett von der Zentrale vereinnahmt. Streit ist damit programmiert.

Ein anschauliches Beispiel dafür liefert das angespannte Verhältnis zwischen der kurdischen regionalen Regierung in Erbil und der Zentralregierung in Bagdad. Dabei geht es meistens um die Förderungs- und Exportrechte des in Kurdistan lagernden Öls. Durch die Zentralisierung der Petrodollars entstehen aber auch finanzielle Anhängigkeiten, die den Föderalismus praktisch aushebeln. Die regionalen Behörden haben keinen eigenen Haushalt und müssen als Bittsteller beim Bundesfinanzminister in Bagdad auftreten. Benachteiligt fühlen sich vor allem die Gebiete, in denen das schwarze Gold sprudelt. Seit zwei Jahren kriegen deshalb die erdölproduzierenden Provinzen einen Dollar pro Barrel als zusätzliche Einnahme.

Ein Schritt in die richtige Richtung, aber erst ein Anfang. Die lokalen Regierungen in den Provinzen und den autonomen Regionen müssen über Haushalte verfügen, die hauptsächlich durch eigenständige Mittel finanziert werden. Es muss gesetzlich geregelt werden, wie die Erdölmilliarden verteilt werden. Trotz mehrerer Anläufe steckt das lang ersehnte Gesetz über Erdöl und Erdgas aber immer noch in den Schubladen des irakischen Parlaments. Grabenkämpfe zwischen den einzelnen Fraktionen verzögern immer wieder seine Verabschiedung.

Auch hinsichtlich des Steueraufkommens muss geprüft werden, wie es gerecht verteilt wird. Hier kann das deutsche Modell als Lösungsansatz dienen: Es gibt Bundes-, Landes- und Gemeindesteuern sowie einen Schlüssel zur Aufteilung von Umsatz- und Einkommensteuer. Das System wird durch den so genannten Finanzausgleich ergänzt, um Differenzen zwischen reichen und armen Bundesländern zu mildern. Ein ähnliches System könnte im Irak dazu beitragen, die finanziellen Grundlagen für den Föderalismus zu stärken, Ängste abzubauen und die Solidarität zwischen den verschieden Regionen und Volksgruppen zu festigen.

Quelle

Pêshmerge û Gerîla hêzên parastinê miletê Kurdin.

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