Folter in Syrien : "Ich wollte, ich wäre nie geboren"
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Folter in Syrien : "Ich wollte, ich wäre nie geboren"
von Kudo21 am 14.01.2011 22:0230.06.2009, 16:32 Uhr | Von Annette Langer, Spiegel Online
In Deutschland leben Tausende Folteropfer - Zugereiste, die in ihrer Heimat verfolgt und systematisch misshandelt wurden. Beyan, 25, hat Asyl beantragt, um hier ein neues Leben zu beginnen. Doch ihn verfolgen die Alpträume. Und er muss mit den Behörden kämpfen, weil er kaum Beweise hat.
Beyan (Name von der Redaktion geändert) sieht gut aus. Schlanke weiße Hände, melancholischer Künstlerblick, perfekt sitzende Lederjacke. Keine Narbe durchzieht das glatte Gesicht, der 25-Jährige lächelt verhalten. Beyan könnte Bankangestellter sein oder Berater, freundlich und zuvorkommend, einer von Millionen Zugereisten, die sich in Deutschland eine Existenz aufgebaut haben.
Schlüsseldrehen versetzt in Panik
Doch der junge Mann aus Syrien ist nichts dergleichen, denn er hat ein Problem: Er kann seine Haustür in Berlin nicht aufschließen, weil das Geräusch des sich drehenden Schlüssels ihn in Panik versetzt. Er hat Angst vor Autos, vor seinen Gedanken und Erinnerungen, Angst vor seinem eigenen Schatten.
"Männer mit Masken"
"Sie waren wie die Wölfe", beginnt Beyan seinen Bericht. "Sie" - die Männer mit den Masken, die Männer mit der Macht, die Folterknechte des syrischen Militärgeheimdienstes in Damaskus. Im März 2006, sagt Beyan, habe er auf einer Gedenkfeier für die Opfer eines Massakers in der Stadt Qamischli im Nordosten Syriens Gedichte vorgetragen. Kritische Polit-Lyrik, die Gerechtigkeit für die etwa eineinhalb Millionen Kurden im Land forderte.
Einzelhaft in einem dunklen Loch
Nach dem spurlosen Verschwinden zwei seiner politisch aktiven Brüder habe er die Versammlungen der radikalen Yekiti-Partei besucht und nach Antworten gesucht. Die bekam er nicht. Stattdessen sei er festgenommen und in das berüchtigte Verhörzentrum Freh' Filistin in der Hauptstadt Damaskus gebracht worden. Am Anfang habe er mit siebzig anderen Häftlingen in einer Gemeinschaftszelle gesessen. Danach Einzelhaft, in einem dunklen Loch, zu eng zum Sitzen und Liegen. Regelmäßig sei er zu Verhören abgeholt worden: "Jedes Mal, wenn die Tür aufging, hab ich gedacht, am liebsten wäre ich tot."
Überall Schreie
Fragen habe man ihm gestellt, endlos wiederholte Fragen, auf die er keine Antwort wusste: "Sie schleppten mich in eine Zelle, wo ich mich ausziehen musste", sagt er leise. Von überall habe er die Schreie der anderen Gefolterten gehört, die Menschen um ihn herum nur noch als schwarze Silhouetten wahrgenommen.
Mit Knüppeln geschlagen
"Sie banden meine Arme und Füße an eine Eisenstange. Dann schlugen sie mich, immer wieder, von allen Seiten." Die bevorzugte Foltermethode im Gefängnis von Damaskus sei die sogenannte Dullap gewesen - dabei wird der Inhaftierte in völlig verrenkter Körperhaltung in einen Autoreifen gezwängt, dann im Kreis gedreht und mit Knüppeln malträtiert.
"Total wehrlos" nach Stromstößen
Auch Elektroschocks seien in Freh' Filistin an der Tagesordnung, sagt Beyan: "Wenn sie den Strom anschalten, kannst du nicht mehr reden und bist total wehrlos. Danach bist du so erschüttert, dass du mit dir selbst nicht mehr klarkommst", sagt er und verbirgt sein Gesicht in den Händen. "Sie haben mich so fertiggemacht, dass ich das Vertrauen in die Menschen verloren habe."
Tote Familienmitglieder
Seit knapp zwei Jahren ist Beyan in Deutschland. Seine Frau lebt bei ihm, auch die beiden Kinder, von denen das jüngste erst sechs Monate alt ist. Zwei seiner Brüder sind tot, weil ihre Körper der Folter nicht standhielten. Tot wie die Schwester, die sich das Leben nahm. Tot wie der Vater, der die Mutter mit dem Schmerz über die verlorenen Söhne allein ließ. Den Söhnen, die in den Krieg zogen für einen Kurdenstaat und für immer verschwanden.
Keine Beweise für Folter
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat Beyans ersten Asylantrag 2007 abgelehnt. Das Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin (bzfo) erstellte ein Gutachten - jetzt läuft der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Beyan hat kaum Beweise für seine Geschichte. Er hat nur seine Worte, die den Behörden beweisen sollen, dass er gefoltert wurde.
Quälende Bilder
Beyan ist Schneider, er liebt seinen Beruf, kann ihn aber derzeit nicht ausüben. Zwar fand er einen Job, der ihm vier Euro in der Stunde einbringen sollte. Die Behörden verweigerten auf Grund seines ungeklärten Aufenthaltsstatus' jedoch die Zustimmung. Beyan würde gern etwas tun, für einige Stunden am Tag die Bilder vergessen, sagt er, die Gedanken zur Seite schieben, die ihn quälen.
Ungeklärter Aufenthaltsstatus schürt Angst
Für Psychotherapeutin Gisela Scheef-Maier vom Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer (bzfo) ist das ein tägliches Dilemma: "Traumatisierte können sich nur stabilisieren, wenn sie sich sicher und geschützt fühlen. Solange der Aufenthaltsstatus ungeklärt ist, sind sie jedoch ständig in Angst, in die Heimat zurückkehren zu müssen. Das ist aus therapeutischer Sicht kontraproduktiv."
Fatales Schweigen der Opfer
Gerade Menschen, die lange Zeit inhaftiert waren und gefoltert wurden, würden sich zurückziehen, weil ihr Urvertrauen zerstört sei. Das Schweigen der Opfer sei verständlich, aber in den Asylverfahren fatal, weil sie nicht in der Lage sind zu beschreiben, was mit ihnen passiert ist, sagt Scheef-Maier: "Deshalb kommt es häufig zu Fehlentscheidungen."
Schlechte Chancen
Vor genau zwölf Jahren trat die Anti-Folter-Konvention der UNO in Kraft. Doch wie wirkungsvoll ist die Hilfe für Folteropfer? Im Jahr 2007, dem Jahr, für das es die aktuellsten Zahlen gibt, schafften es zwei Prozent der 750 Antragsteller aus Syrien, als asylberechtigt anerkannt zu werden. Mehr als 56 Prozent wurden abgelehnt, etwa elf Prozent erhielten Abschiebungsschutz, heißt es im Bericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.
Viele Migranten aus Syrien
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums verweist im Gespräch mit "Spiegel Online" darauf, dass Syrien einer der bedeutendsten Herkunftsstaaten illegaler Migration ist: "Rund 6600 syrische Staatsangehörige halten sich derzeit rechtswidrig in Deutschland auf", sagt Christoph Hübner. Das am 3. Januar 2009 in Kraft getretene Rückführungsabkommen zwischen der Bundesrepublik und Syrien trage "diesem Umstand Rechnung". Das Asylrecht sei durch dieses Abkommen nicht berührt, versichert der Sprecher: Flüchtlinge, die in Syrien mit politischer Verfolgung oder Folter rechnen müssten, erhielten in Deutschland weiter Schutz.
"Keine Chance auf Asyl ohne Beweise"
Das sieht Martin Link, Geschäftsführer im Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V., gleichwohl anders: "Wenn die Antragsteller nicht beweisen können, dass sie politisch verfolgt sind, haben sie in Deutschland keine Chance auf Asyl." Die so dringend benötigten materiellen Beweise seien schwer zu erbringen, weil die Flüchtlinge oft illegal und mit falschem Pass mit Schleppern einreisten und noch nicht einmal ihre Identität nachweisen könnten. Zehntausende staatenlose Kurden in Syrien haben zudem gar keinen Pass, sondern nur Ersatzpapiere.
Folter als "Erziehungsmethode"
"In Syrien wird Folter systematisch eingesetzt", sagt Link. "Sie ist ein Instrument, mit dem die Regierung ihren Bürgern Grenzen aufzeigt. Entweder man tut, was erlaubt ist, oder man wird gefoltert." Es sei allerdings zynisch, daraus zu folgern, dass Folter einen allgemeinen Gesellschaftszustand und eben keine individuelle politische Verfolgung darstelle, die einen Asylantrag rechtfertigen würde. "Wenn in Syrien jemand verhaftet wird und keiner davon erfährt, dann ist er verloren."
Informationen fließen an syrische Kollegen
Der Flüchtlingsexperte fordert, das Rücknahmeabkommen auszusetzen. "Ein solcher Vertrag darf nur bestehen, wenn für die Sicherheit der Rückkehrer garantiert werden kann." Besonders brisant: Das Abkommen autorisiert die deutschen Behörden, Informationen über Flüchtlinge an die syrischen Kollegen weiterzugeben. "Das hat das Innenministerium unterschrieben", sagt Link, "ein Skandal."
Dunkelziffer der Folteropfer hoch
Mindestens fünf Gefangene starben laut Amnesty International im vergangenen Jahr in Syrien an den Folgen der Folter - die Dunkelziffer ist bekanntermaßen hoch. Weil im Land über ein Dutzend verschiedene Geheimdienste gewissermaßen miteinander konkurrieren, kann es sein, dass ein Opfer von verschiedenen Organisationen verfolgt wird.
30 bis 40 Prozent Gewaltopfer in Deutschland
In Deutschland leben viele Menschen, die in ihren Heimatländern systematisch gequält wurden. Schätzungen zufolge sind 30 bis 40 Prozent aller hier lebenden Migranten traumatisiert. Zwar haben Folter- und Gewaltopfer Anspruch auf medizinische und soziale Versorgung. "Es gibt aber viel zu wenig Behandlungsplätze", sagt Therapeutin Scheef-Maier vom bzfo. Die Warteliste sei lang und viele Patienten müssten stundenlange Anfahrten in Kauf nehmen, weil es auf dem Land kaum Trauma-Experten gäbe.
Hilfe in Tagesklinik
Seit 17 Jahren kümmern sich Sozialarbeiter, Ärzte, Psychotherapeuten und Heilpädagogen am bzfo um Opfer von Folter und Gewalt. Etwa 500 Männer und Frauen, Kinder und Jugendliche werden jedes Jahr in der Tagesklinik oder ambulant betreut. Gesprächs- und Schmerztherapien sind ebenso Teil des Programms wie Deutschunterricht, Hilfe bei Behördengängen oder Bewerbungstraining. Unterstützung kommt von vielen Seiten, unter anderem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dem Auswärtigen Amt oder der Europäischen Kommission. Dennoch bleibt viel zu tun.
"Gesetze unzureichend"
"Die Bundesrepublik hat die EU-Aufnahmerichtlinien für Flüchtlinge noch immer nicht in geltendes Gesetz und in die Praxis umgesetzt. Da hinken wir hinterher", sagt Britta Jenkins vom bzfo. In vielen Ländern Europas würden die Vorgaben nur punktuell umgesetzt, die Flüchtlinge seien "eine Gruppe, die nicht eben mit offenen Armen empfangen wird."
"Die Anderen" als Bedrohung
Unter welchen Bedingungen Folter gedeihe? "Dort, wo Menschenrechte nichts gelten und Minderheiten keine Rechte haben", sagt Therapeutin Scheef-Maier. In einem Klima, das durch Macht und Geheimhaltung geprägt sei, in einer Gesellschaft, die in eine "Sie-" und eine "Wir-Fraktion" gespalten ist. Die "Anderen" würden als Bedrohung empfunden, der Hass gegen sie instrumentalisiert. "In einer solchen Situation findet sich immer jemand, der nichts mehr hinterfragt."
Wenn der Mensch zur Bestie wird
Unter bestimmten Bedingungen könnten Angehörige der Sicherheitskräfte innerhalb kürzester Zeit zu Bestien mutieren - das habe der US-Psychologe Philip Zimbardo mit seinem Stanford-Prison-Experiment schon vor Jahrzehnten eindrucksvoll bewiesen, als er eine Gefängnissituation mit Studenten authentisch nachstellte. Der Versuch musste nach nur sechs Tagen abgebrochen werden, weil die "Wärter" zunehmend sadistisch agierten und die "Gefangenen" unter psychischen Ausnahmezuständen litten.
"FoIter wird es geben, solange es Menschen gibt"
Ist also jeder Mensch ein potenzieller Folterknecht? "Früher habe ich geglaubt, dass wir die Folter abschaffen können", sagt Britta Jenkins. "Natürlich werden wir weiterhin für die Einhaltung der Menschenrechte kämpfen. Aber heute weiß ich, dass es Folter geben wird, solange es Menschen gibt."
"Ich bereue alles"
Eine bittere Erkenntnis - für die Opfer wie die Helfer. Auf die Frage, ob er sein politisches Engagement angesichts der entsetzlichen Folgen bereue, sagt Beyan: "Ich bereue alles. Dass ich die Gedichte vorgetragen habe, zu den Versammlungen gegangen bin - aber vor allem, dass ich geboren wurde.
Quelle
Re: Folter in Syrien : "Ich wollte, ich wäre nie geboren"
von Azadiyakurdistan am 15.01.2011 14:19Es wird gesagt wer einmal in Freh Filistin rein muss kommt dann 40 Jahre älter raus.
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